Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Grenzbezirk

Der dunkle Grenzbezirk

Titel: Der dunkle Grenzbezirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
Vom Netzwerk:
umfuhren den Kudbek, und durch dunkle Gäßchen weiter in Richtung zu dem Haus der Gräfin. Etwa einen halben Kilometer vor dem Platz, an dem es stand, wurden wir von einem Posten aufgehalten. Der Anführer trat ans Wagenfenster und salutierte.
    »Ist die Gräfin Schverzinsky hier vorbeigekommen?« fragte Carruthers auf französisch.
    »Vor einer halben Stunde«, war die Antwort.
    »Die Dienstboten und die Wachen sind verhaftet worden?«
    »Vor zwei Stunden, Monsieur.«
    »Gut. Von jetzt an darf niemand dieses Gebiet ohne Paß betreten oder verlassen.«
    »Bien, Monsieur.«
    Wir fuhren weiter.
    »Gute Stabsarbeit«, bemerkte ich.
    »Ich habe auch eine ganze Woche daran gearbeitet«, sagte Carruthers. »Genau einen solchen Ausnahmefall habe ich ja vorausgeahnt. Ich kann kein Risiko eingehen, Casey«, fuhr er fort, und seine Stimme hatte den metallischen Ton, den er stets für seine banalsten Äußerungen parat hatte. »Zu viel steht auf dem Spiel.«
    Er hielt an, sobald wir den Platz überquert hatten, und wir gingen den Rest des Weges zu Fuß. Das Haus war dunkel mit Ausnahme eines einzigen erleuchteten Fensters im zweiten Stock.
    »Nehmen wir denselben Weg wie letztes Mal?«, fragte ich, als wir uns dem Haus näherten.
    »Da die Wachen und Dienstboten alle weg sind, können wir es wagen, etwas weniger unformell vorzugehen.«
    »Wieso sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, diese Leute wegschaffen zu lassen?«
    »Versetzen Sie sich in die Lage der Gräfin. Was würden Sie denn tun, wenn Sie von einer Revolution überrascht würden? Sie packen ihre Wertsachen und verlassen das Land.«
    Ich ließ mich von diesem Scheinargument nicht blenden, sagte aber nichts. Carruthers pflegte seine rätselhaften Entscheidungen immer als weise Voraussicht zu bezeichnen. Wie dem auch sei, auf jeden Fall war die Anordnung richtig gewesen, denn wie sich zeigte, war das Haus tatsächlich unbewacht.
    Wir gingen die vordere Auffahrt hinauf. Vor dem Säulengang stand eine große Mercedes-Limousine. Der Motor war noch warm. Wir gingen an der Seite des Hauses entlang nach hinten. Mir fiel plötzlich ein, daß ich mit meinem bandagierten rechten Arm nicht den Balkon hinaufklettern konnte. Ich sagte das Carruthers.
    »Keine Angst«, gab er zur Antwort. »Sie brauchen heute keine Klimmzüge zu machen.«
    Er ging voran zum Dienstboteneingang, der nicht verschlossen war. Wir traten ein und standen in der Küche. Carruthers zündete ein Streichholz an.
    Überall sah man, wie schnell die Dienerschaft gezwungen worden war, das Haus zu verlassen. Ein Tischtuch und eine Schürze lagen auf dem Boden, und auf dem Tisch stand ein halbfertiges Essen für vier Personen. Wir gingen durch die Küche und dann einen schmalen Gang entlang, von dem rechts und links Türen abgingen, bis wir zu einer aufwärts führenden Treppe kamen. Hier blieben wir stehen und lauschten. Mir schien, als hörte ich oben leise Geräusche.
    »Sie machen sich fertig, um zu verschwinden«, flüsterte Carruthers.
    Ich erwiderte nichts. Das Haus ging mir auf die Nerven. Ich bin einmal mit einem Ozeanriesen, der auf seinem Weg zum Schiffsfriedhof war, gefahren, weil jemand vermutet hatte, es gäbe auf so einer Reise Stoff für eine rührselige Geschichte. Es gab ihn auch, aber die Story wurde nie gedruckt. Es herrschte eine jämmerliche Verlassenheit in den leeren Räumen und Korridoren, die selbst die hartgesottenen Seeleute deprimierte. Das Ergebnis dieser Stimmung war eine Geschichte, die als Zusammenarbeit von Edgar Allan Poe und George Eliot hätte gelten können. Auf mich machen tote Gegenstände, wenn sie nicht in der warmen Gegenwart von Menschen sind, für die sie geschaffen wurden, einen tragischen Eindruck. Ich habe ein Gefühl der Trauer in jedem leeren Theater, und es befiel mich auch jetzt wieder, als ich mit Carruthers in dem dunklen alten Haus stand. Ich stellte mir die Szene vor, die sich in der Nacht hier abgespielt hatte, die Wachen, auf ihren Posten überrumpelt und durch kalte Revolverläufe im Rücken bedroht. Die Besitzerin der Schürze, die diese weggeworfen hatte, um den knappen Befehlen zu gehorchen, und die ein Gulasch, das nun auf vier kalten Tellern klebte, im Stiche gelassen hatte. Die rasche methodische Durchsuchung des Hauses, und dann der barsche Befehl, das Haus zu verlassen. Als ich diese Bilder ungeduldig abschüttelte, stieg eine Frage in mir hoch.
    »Wo ist Prinz Ladislaus?« flüsterte ich.
    »Vor sechs Stunden nach Belgrad gefahren. Klug von

Weitere Kostenlose Bücher