Der dunkle Highlander
Hilfe. »Ich fürchte, es muss hier bleiben, meine Liebe. Es gibt gute Gründe dafür, dass gewisse Schriften der Menschheit nicht zugänglich gemachtwerden dürfen.«
»Aber Ihr müsst es mich wenigstens lesen lassen!«, rief Chloe.
Silvan versicherte ihr, dass sie das durfte, und konzentrierte sich anschließend ganz auf Dageus. Die Entdeckung der Bibliothek in der geheimen Kammer hatte Silvan belebt. Er fühlte sich zwanzig Jahre jünger und wusste erstjetzt so richtig, was es hieß, ein Keltar zu sein. In dieser Kammer würden sie sicherlich die Lösung finden. Er konnte es kaum erwarten, seinem Sohn die Schätze zu zeigen. Um den Moment richtig auszukosten, sagte er mit eingeübter Nonchalance: »Vermutlich bin ich nicht der Einzige, der nichts von der Kammer hinter dem Studierzimmer wusste, nicht wahr?«
Dageus schluckte und sah Silvan verdutzt an. »Hinter dem Studierzimmer?«
»Allerdings.«
Dageus packte Chloe an der Hand, zog sie auf die Füße und focht einen kleinen Kampf mit ihr aus, weil sie versuchte, das Buch festzuhalten. Er nahm es ihr aus den Händen, legte es auf den Tisch, zerrte sie mit sich und eilte Silvan hinterher.
Als Silvan gegen die linke Strebe unter dem Kaminsims drückte, schwang der Kamin seitlich nach vorn und gab den Weg in einen Gang frei. Silvan erklärte,
Nellie habe eines Tages bei einem gründlichen Hausputz die Spinnweben unter dem Sims weggefegt, den Ruß aus dem Kamin gekratzt und war dabei auf den geheimen Gang gestoßen. Sie hatte sich beim Putzen an der Strebe abgestützt, und plötzlich hatte sich der ganze Kamin bewegt.
»Und warum hat sie uns nichts davon gesagt?«, wollte Dageus wissen.
»Sie dachte natürlich, wir wüssten davon und wollten es vor ihr geheim halten.«
Dageus schüttelte den Kopf. »Und darin ist eine weitere Bibliothek?«
»Mein Junge, so wie's aussieht, ist dort unsere gesamte Geschichte aufgezeichnet, und die Dinge sind seit Jahrhunderten nicht angerührt worden.«
Chloe hatte den Verdacht, dass die beiden sie vergessen hatten; verwundert folgte sie ihnen in den dunklen Gang und über eine Steintreppe hinab in eine höhlenartige Kammer, die etwa vier Meter fünfzig breit und doppelt so lang war. Sie wurde von Dutzenden von Kerzen in Leuchtern erhellt. An den Wänden standen Regale, die vom Boden bis zur Decke reichten; außerdem gab es Tische, Stühle und Truhen.
Chloe wandte den Kopf blitzschnell von rechts nach links, vor und zurück. Eins nach dem anderen, Zanders. Sonst wird dir noch übel vor Aufregung.
Ein Archäologe, der eine bis dahin verschlossene und vergessene Grabkammer betrat, hätte kaum nervöser sein können. Chloes Herz raste, ihre Handflächen waren feucht, und es gelang ihr nicht, gleichmäßig durchzuatmen. Sie schob sich an den beiden Männern vorbei, weil sie möglichst alles sehen wollte, bevor sie sich an sie erinnerten, es sich anders überlegten und sie am Ende doch noch wegschickten. Sie befand sich in einer unterirdischen Geheimkammer und war umgeben von den Dingen, die sie am meisten liebte: staubigen Relikten aus längst vergangenen Zeiten. Von Gegenständen, die bei den Wissenschaftlern ihres Jahrhunderts Begeisterungsstürme auslösen und ihnen Stoff zum Nachdenken geben würden. Genug Stoff, um für den Rest ihres Lebens zu diskutieren und Theorien zu entwickeln.
Da waren Steint afeln, in die altirische Ogham schriftzeichen geritzt waren. Und noch mehr Tafeln mit piktischer Oghamschrift, die moderne Gelehrte nicht entziffern und erst recht nicht übersetzen konnten. Die Pikten hatten nämlich die irische Schrift übernommen, konnten sie aber ihrer eigenen Sprache nicht anpassen, da Piktisch und Gälisch phonetisch vollkommen verschieden waren. Vielleicht kann ich hier lernen, diese Schriften zu lesen!, dachte Chloe, und bei der Vorstellung wurde ihr schwindlig.
Da waren in Leinen gebundene Folianten, zum Schutz in fadenscheinige Tücher gewickelt, Lederbände, Schriftrollen, Tafeln mit handgestochenen Inschriften, Teile von Rüstungen und Waffen, und - o Himmel! - selbst der Krug auf dem Tisch war eine Kostbarkeit.
Nachdem sich Chloe staunend umgesehen hatte, spähte sie über die Schulter zu Dageus und Silvan. Die beiden standen in der Mitte der Kammer, über einen eckigen Steinsockel gebeugt, auf dem eine Goldplatte lag.
»Da, ist diese Platte das, was ich denke?«, fragte Dageus gepresst.
»Ja, das ist der Pakt. Und er ist, wie es die Legende erzählt, in reines Gold geritzt.«
»Das ist
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