Der dunkle Highlander
flackernden Kerzenschein wie aus Bronze gegossen schien. Was war es, das er ihr verschwieg? Sie hatte weder den Fluch noch seine unermüdlichen Recherchen in den alten Schriften vergessen. Zwar hätte sie den ganzen gestrigen Tag reichlich Gelegenheit gehabt, ihn danach zu fragen, aber sie wollte nicht, dass die wunderschöne Gemeinsamkeit durch irgendetwas getrübt wurde.
Um die Wahrheit zu sagen, wollte sie sich auch den heutigen Tag nicht verderben. Sie würde ihn entschlossen gegen den kleinsten Anflug von Düsterkeit oder Trübsinn verteidigen. Nie war sie in einer derartigen Hochstimmung gewesen, und sie wünschte sich, dieser Tag würde niemals enden. Sie, die für ihre Neugier und dafür bekannt war, dass sie »Ich weiß es nicht« nie als Antwort gelten ließ, verspürte plötzlich nicht mehr den geringsten Wunsch, Fragen zu stellen.
Morgen, sagte sie sich. Morgen werde ich ihn nach dem Fluch und seinen Nachforschungen fragen.
Vorerst hatte sie genug, womit sie zufrieden sein konnte: Sie befand sich im Mittelalter, erlebte leidenschaftliche Stunden mit einem wunderbaren Mann und war von unendlich kostbaren Schätzen umgeben. Es fiel ihr schwer, all das zu begreifen. Allein dass sie sich im sechzehnten Jahrhundert aufhielt, war überwältigend.
Als spürte er ihren Blick, drehte Dageus den Kopf und sah ihr direkt in die Augen.
Er blähte die Nasenflügel, seine Augen verengten sich zu Schlitzen und sein Blick wurde hitzig. »Silvan, Chloe braucht ein Bad«, sagte er, ohne den Blick von ihr zu wenden. Er biss sich auf die Unterlippe, und sofort zogen sich alle Muskeln in ihrem Unterleib zusammen. »Und zwar sofort.«
»Ja, ich bin selbst ein wenig staubig«, gestand Silvan nach einem kurzen, verlegenen Zögern. »Ich denke, wir können alle eine Verschnaufpause und etwas zu essen vertragen.«
Dageus erhob sich. In dieser Kammer mit der niedrigen Decke erschien er größer denn je. Er streckte Chloe die Hand entgegen. »Komm, Mädchen.«
Und Chloe ging mit.
»Müssen wir ihn unbedingt anketten?«, fragte Gwen unbehaglich.
»Ja, meine Süße«, erwiderte Drustan. »Er würde sich umbringen, bevor er uns etwas verraten kann, wenn ich töricht genug wäre, ihm die Gelegenheit dazu zu geben.«
Sie traten zurück und spähten durch die Gitterstäbe des Kerkers, in dem ein hagerer Mann mit kurz geschnittenem braunem Haar an die Wand gekettet war. Seine Arme waren ausgebreitet, die Beine gespreizt. Sein wütendes Knurren wurde durch den Knebel in seinem Mund gedämpft.
»Und ist dieser Knebel wirklich notwendig?«
»Ehe ich ihn zum Schweigen gebracht habe, hat er etwas gemurmelt, das verdächtig nach einer Beschwörung klang. Er bleibt geknebelt, bis ich ihn ausführlich befrage. Komm bloß nicht ohne mich hier herunter, Mädchen.«
»Es erscheint mir nur so ... barbarisch. Was, wenn er gar nichts mit der Sache zu tun hat?«
Drustan nahm die persönlichen Gegenstände aus den Taschen seines Gefangenen an sich. Er hatte zwei tödlich scharfe Dolche, ein Handy, eine lange Schnur, jede Menge Bargeld und ein paar Bonbons bei sich gehabt, aber weder Brieftasche noch Ausweis. Er hatte überhaupt keine Papiere. Drustan steckte das Telefon, die Schnur und die Bonbons in die Tasche, nahm die Dolche in eine Hand und legte Gwen den Arm um die Schultern. Dann führte er sie zur Treppe.
»Er hat sehr wohl damit zu tun. Ich habe ihn erwischt, als er vor der Tür zum Arbeitszimmer gelauert hat. Als er mich sah, hatte ich den Eindruck, dass er mich erkennt. Er schien verwirrt und am Ende ziemlich schockiert. Ich bin überzeugt, er hat mich für Dageus gehalten und wusste nicht, dass Dageus einen Zwillingsbruder hat. Außerdem hat mir Dageus erzählt, dass Chloe am Hals ihres Angreifers eine Tätowierung gesehen hat. Dageus wusste zwar nicht, was für eine Tätowierung das war, aber es kann kein Zufall sein, dass unser Eindringling am Hals ebenfalls tätowiert ist. Er ist also ganz bestimmt involviert. Und er wird uns Auskunft geben«, beteuerte er grimmig.
»Das alles ergibt überhaupt keinen Sinn. Warum will man Dageus oder Chloe etwas antun? Was könnte man von ihnen wollen?«
»Das weiß ich nicht. Aber du kannst sicher sein, dass ich das noch herausfinde.«
21
Es war stickig in der unterirdischen Kammer. Dageus rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum, dann setzte er sich auf den Boden und lehnte sich an die kalte Steinmauer. Er sah Chloe mit einem schiefen Lächeln an. Ihre Anwesenheit machte es ihm
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