Der dunkle Highlander
fiel ihr auf, dass er ihre Frage nicht beantwortet hatte.
»Es wird aber auch Zeit«, brummte Silvan, als sie die Große Halle betraten.
»Da, wo ist das fünfte Buch der Manannän?«, erkundigte sich Dageus ohne jedes einleitende Wort.
»Es gibt kein fünftes Buch der Manannän«, erklärte Chloe sachlich. »Es gibt nur drei. Das weiß doch jedes Kind.«
Dageus lächelte ironisch. »Ah ja, jedes Kind. Und ich habe lange überlegt, wer es wohl wissen könnte.«
Silvan schien das zu belustigen. Er neigte den Kopf zur Seite und sah Dageus fragend an. »Glaubst du, sie braucht eine Ablenkung? Ich dachte, du hättest sie inzwischen gründlich genug abgelenkt.«
Chloe wurde rot.
»Es liegt in der Turmbibliothek«, setzte Silvan hinzu. »Hol es, aber komm so rasch wie möglich zurück, es gibt viel zu besprechen. Neil hat mir etwas Erstaunliches gezeigt.«
Dageus lief los, und Simon klopfte auf den Platz neben sich. »Komm her, meine Liebe«, sagte er und lächelte warmherzig. »Bleib ein bisschen bei mir und erzähl mir etwas von dir. Wie hast du meinen Sohn kennen gelernt?«
Wann würde ihr endlich eine passende Antwort auf diese Frage einfallen? Chloe wich seinem durchdringenden Blick aus und errötete leicht.
»Ich möchte die Wahrheit hören, meine Liebe«, sagte Silvan leise.
Chloe sah ihn erschrocken an. »Bin ich so leicht zu durchschauen? «
Er lächelte beschwichtigend. »Ich kenne meinen Sohn ziemlich gut und kann mir kaum vorstellen, dass es eine ganz normale Begegnung war.«
»Nein, das war es nicht«, räumte sie ein und seufzte. »Wir haben uns nicht richtig kennen gelernt. Wir ... äh ... naja, es war mehr ein Zusammenstoß ...«
Silvan musste herzlich lachen, als er ihre Geschichte hörte, und er konnte es kaum erwarten, sie Nellie zu erzählen, die jedes Wort begierig in sich aufsaugen würde. Das Mädchen war eine großartige Geschichtenerzählerin, melodramatisch genug, um die Handlung lebendig wiederzugeben und die wichtigen Passagen zur Geltung zu bringen. Und sie war humorvoll und hatte einen hinreißenden Hang zur Selbstironie. Die Kleine hatte keine Ahnung, wie hübsch und ungewöhnlich sie war; stattdessen hielt sie sich für »ein wenig vertrottelt«. Nachdem sie Silvan dieses Wort erklärt hatte, fand er es wunderbar, ebenfalls »vertrottelt« zu sein. Dass sie ihn in die Kategorie »klug, nicht besonders elegant und ein wenig rückständig« einordnete, mochte ihn dabei beeinflusst haben. Ja, sie erzählte gewandt und lebhaft, und die Geschichte bewies wieder einmal, dass die Keltar ihren vorbestimmten Gefährtinnen auf schicksalhafte Weise begegneten.
Während sie redete, lauschte Silvan in sie hinein. Er erkannte ein reines Herz - ein Herz wie das von Dageus. Chloe war feinfühliger als die meisten anderen und ungeheuer emotional, wobei sie allerdings eisern über ihre Empfindungen wachte. Er hörte die Liebe für seinen Sohn in dem leicht heiseren Timbre ihrer Stimme. Eine Liebe, die so stark war, dass Chloe ein wenig verängstigt war, und sie war noch nicht bereit, darüber zu sprechen.
Aber eins gab Silvan zu denken: Sie wusste immer noch nicht, was Dageus belastete, und in ihrem Herzen keimte eine zarte Furcht.
Das verstand er gut. Wenn ein Herz erkannte, dass es geliebt wurde, dann fürchtete es paradoxerweise am meisten. Sie wollte wissen, was mit Dageus nicht stimmte. Aber gleichzeitig wollte sie nichts hören, was ihr Glück zerstören konnte. Silvan hatte den Verdacht, dass sie einen inneren Kampf ausfechten musste, bevor sie endlich die entscheidenden Fragen stellte.
Als Dageus Chloe das fünfte Buch der Manannän überreichte, konnte Silvan beobachten, dass sein Sohn die Kleine vergötterte. Das Mädchen behandelte das Buch mit größter Achtung, berührte nur die äußersten Kanten der dicken Seiten und betrachtete sie staunend.
Sie war fassungslos. »A-aber, das dürfte eigentlich gar nicht existieren und - o Gott, und es wurde mit lateinischen Buchstaben geschrieben. G-glaubst du, du kannst einen der Schätze, die du mir überlassen hast, gegen dieses Buch eintauschen?«, hauchte sie und sah Dageus mit einem Blick an, dem selbst Silvan nur schwer hätte widerstehen können.
Ja, dieses Mädchen konnte sich stundenlang mit alten Schriften beschäftigen, wie er es auch tat, und in den Geschichten schwelgen. Vertrottelt - in der Tat!
Und Dageus ... nun ja, Dageus war wie gelähmt, weil er ihr diese eine Bitte abschlagen musste. Silvan kam seinem Sohn zu
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