Der dunkle Kreuzzug
gerufen: durch eine von Hand zu Hand gehende heimliche Begrüßung, begleitet von einer verstohlenen Geste. Nichts von alledem wäre einem zufälligen Beobachter ungewöhnlich vorgekommen – ein Handzeichen, das Passwort (an diesem Tag lautete es »Nadel« ) und ein Platz in Ciudad Sueño, der Hauptstadt von Corazón. An einem öffentlichen Computer dort waren Ort und Zeitpunkt des eigentlichen Treffens zu erfahren.
Der Treffpunkt war ein kleiner Konzertsaal in einem privaten Auditorium nahe dem Stadtzentrum. Es war als »im Umbau« befindlich ausgewiesen, doch hinter den Absperrungen und den Baustellenschildern fand sich ein geheimer Raum für die Mitglieder des Inneren Ordens, in dem sie ihren Geschäften nachgehen konnten. In der düsteren Halle hatte Biagio Buonaccorsi keine Mühe, sich so zu platzieren, dass er alles beobachten und aufzeichnen konnte, ohne selbst entdeckt zu werden.
Kurz nachdem der erste Mond von Corazón, Campeador, über die Catedrál emporgestiegen war, betrat Antonio St. Giles den Raum. Mehr als zwei Dutzend Mitglieder des Inneren Ordens in ihren alles verhüllenden Roben waren bereits anwesend, und Biagio war nur einer von ihnen. Die Gespräche, die nur im Flüsterton geführt worden waren, verstummten ganz, als St. Giles langsam an der Nordseite entlang und dann einmal durch den ganzen Raum ging, sich dabei vor den Anwesenden verbeugte, die in der Mitte sowie im südlichen, westlichen und nördlichen Teil ein wenig erhöht saßen, ehe er die drei Stufen zu seinem Platz an der östlichen Seite emporstieg. Dort verbeugte er sich ein letztes Mal, dann drehte er sich um und hob die Arme. Diejenigen im Raum, die nicht ohnehin schon standen, erhoben sich von ihren Stühlen.
»Ist das äußere Portal versiegelt?«
»Ich werde nachsehen«, sagte die Person, die vor dem Stuhl an der Nordseite stand. Ein anderer, der sich gleich daneben befand, ging zur Tür und sprach leise mit jemandem, der draußen wartete. Das Geräusch einer zugleitenden Tür war zu vernehmen. Der Person an der Nordseite wurde Bericht erstattet.
»Wir sind in Sicherheit, Meister.«
»Dann öffne ich das Portal an diesem Ort, entsprechend meiner Autorität als Meister des Inneren Portals und als Commander des Ordens der Hüter.«
»Das Portal ist geöffnet«, sagten die Anwesenden gleichzeitig.
»Das Portal ist geöffnet«, wiederholte St. Giles und machte erst mit einem, dann mit dem anderen Arm eine ausholende Geste, nach der alle im Raum Platz nahmen.
»Danke, dass Sie mich auf Corazón willkommen heißen«, begann St. Giles und legte die Arme auf die Stuhllehnen. »Und ich danke Ihnen auch, dass Sie so kurzfristig zu diesem Treffen kommen konnten. Wer spricht für den Inneren Orden?«
Eine der verhüllten Gestalten an der Nordseite des Raums erhob sich und kam in die Mitte. Die automatische Beleuchtung verfolgte ihn mit einem Spot.
Die Kapuze wurde nach hinten geschoben, zum Vorschein kam der Kopf eines Mannes mit kurz geschnittenem Haar und einem kleinen spitzen Bart. Er machte die Eröffnungsgeste und verbeugte sich in St. Giles’ Richtung. »Meister«, sagte er. »Ich bin der Zweite Postulant Raymond Bhagat. Ich spreche für den Inneren Orden.«
»Berichten Sie bitte.«
»Wie Sie bereits wissen, Meister, ist das Königshaus hier auf Corazón der Bewegung des Flammenden Sterns sehr zugetan. Erst kürzlich sorgte eine Anweisung des Königs dafür, dass der Orden der Hüter auf einen gewissen Widerstand bei der Erledigung der üblichen Aufgaben stieß – sogar während des aktuellen Staatsbesuchs.«
»›Widerstand‹ ist noch recht harmlos formuliert, Postulant. ›Feindseligkeit‹ trifft es wohl besser.«
»Ja, Sir«, stimmte Bhagat ihm zu. »Die Hüter werden als Personen angesehen, die den Kontakt zum Krieg verloren haben und die überflüssig geworden sind, seit der Feind auf dieser Seite des Risses vernichtet wurde.«
»Wir können aber nicht in unserer Wachsamkeit nachlassen«, erwiderte St. Giles.
»Ich gebe Ihnen natürlich recht, Meister.« Der Postulant beschrieb eine respektvolle Geste. »Die Häufigkeit, mit der der Orden selbst jetzt noch Eindringlinge aufspürt, sollte unsere Nützlichkeit unterstreichen. Dennoch gibt es Grund zu der Annahme, dass wir nicht länger die Aktivitäten des Flammenden Sterns ignorieren können.«
»Wie meinen Sie das?«
Bhagat blickte von St. Giles zu einem anderen im Raum. Biagio beobachtete, analysierte und identifizierte minimale Reaktionen und Gesten,
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