Der dunkle Kreuzzug
diesem Ort, diesem Echo des Sanktuariums, wird etwas geschehen.«
»Das ist angemessen vage formuliert.«
»Ich konnte mich nie ganz an Ihre Ironie gewöhnen«, sagte Th’an’ya, die ihre Flügel in die Haltung der Kameradschaft brachte. »Es geht um ein Ereignis, das Sie betrifft – und noch jemanden. Jemanden, der uns beiden nahesteht.«
»Wenn das mein Unterbewusstsein ist, das hier mit mir redet«, entgegnete Jackie und warf einen Blick über ihre Schulter auf die Dunkelheit hinter ihr, »dann nehme ich an, dass es hier um se Ch’en’ya geht.«
»Meine Tochter«, sprach Th’an’ya. »Sie beschert Ihnen viel Sorge. Sie ist von Wut erfüllt, aber das ist nicht das, was Sie beunruhigt.«
»Ich bin besorgt, was mit ihr geschehen wird. Ich glaube, sie
steuert auf ein shNa’es’ri zu, und dessen Ausgang kann ich nicht voraussehen.«
»Was ist geschehen?«
Jackie zuckte mit den Schultern, da sie nicht so recht verstand, warum sie ihrem eigenen Unterbewusstsein die Situation erklären musste. »Ich weiß nicht, wohin sie gegangen ist«, sagte sie. »Und ich mache mir Sorgen über das, was sie tun könnte.«
»Sie sind besorgt«, gab Th’an’ya zurück, »dass Sie keine Kontrolle haben über das, was kommen wird.«
»Das stellt das Ganze zu vereinfacht dar. Ich bin nicht ihre Aufpasserin, und ich habe keinen Einfluss auf die Dinge, die geschehen. Ich diene dem Hohen Nest, und tue, was man mir sagt.«
»Und was sagt man Ihnen?«
»Ich habe noch keine Anweisung erhalten.«
»Sind Sie sich ganz sicher?«
»In fünfundzwanzig Jahren beim Hohen Nest war ich mir noch in keiner Sache sicher. Ich gehe davon aus, dass hi Sa’a früher oder später einen Traum empfängt …«
»Glauben Sie, sie ist die Einzige, die Träume empfängt?«
»Sie ist die Einzige, deren Träume den Flug des Volks lenken«, antwortete Jackie. »Die Einzige, deren Träume etwas bedeuten.«
»Ihre erste Aussage ist richtig«, sagte Th’an’ya. »Aber auch andere erfahren Träume, die eine Bedeutung haben … so wie beispielsweise dieser.«
»Wollen Sie damit sagen …«
Th’an’ya hob ihre Flügel in eine Haltung, die andeutete, dass sie von Jackies Seite ein sSurch’a erwartete.
»Was versuchen Sie mir damit zu sagen? Was versuche ich mir selbst zu sagen? Dass ich nicht tatenlos zusehen kann, selbst wenn Dinge geschehen, die sich meiner Kontrolle entziehen?« Sie breitete die Arme aus. »Was soll ich machen? Ihr folgen und sie zurückbringen?«
»Wenn eine Entscheidung von ihr zu fällen ist, wäre es dann nicht besser, Sie wären da, um ihr einen Rat zu geben?«
»Sie hört auf niemanden.«
»Auf Sie hört sie«, beharrte Th’an’ya. »Auch wenn sie oft das verwirft, was Sie ihr sagen, respektiert sie Sie als Gyaryu’har und Qu’uYar .«
»Ihr Lieblingswort ist ›pah‹.«
»Trotzdem«, sagte Th’an’ya. »Sie hört zu.«
»Eine weise Person sagte einmal zu mir: ›Dass das Ohr nicht hört, ist nicht die Schuld der Stimme.‹ Wollen Sie mir sagen, dass ein Teil von dem, was ich von mir gebe, doch in ihren arroganten Dickschädel dringt?«
»Ich sage damit, se Jackie, dass das Schwierigste für jeden Freund darin besteht, dann zu reden, wenn Stille erwünscht ist. Sie sagt vielleicht, ihr Ohr ›höre nicht‹, aber das glaube ich so nicht … und in keinem Fall ist es so, dass Ihre Stimme die Schuld daran trägt.«
»Also wollen Sie mir sagen, ich müsse mit ihr reden und ihr sagen, was ich denke …«
»Und auch ihre Stimme hören. Wenn Sie recht haben, wenn vor meiner Tochter tatsächlich ein shNa’es’ri liegt, dann wird es ihr vielleicht besser ergehen, wenn Sie da sind, um ihr zuzuhören.«
»Das würde ich gern glauben.«
»Ich denke«, gab Th’an’ya zurück, »das tun Sie bereits.«
Th’an’ya ließ ihre Flügel in eine respektvolle Haltung sinken und wandte sich um, ging ein Stück weit und flog dann in den Nebel. Jackie sah ihr nach, bis sie nicht mehr zu sehen war, dann trieb auch der Traum langsam davon.
Kurz vor ihrer Abreise von Zor’a unterhielt sie sich noch mit dem Hohen Lord in dessen Privatsuite, von der aus man die Hauptpromenade des A’alu-Raumhafens überblicken konnte. Jackie hatte sich entschlossen, Ch’en’ya zu folgen, doch hi Sa’a war nicht nur gekommen, um sich von ihr zu verabschieden, sondern sie war in erster Linie da, um ihr diese Reise auszureden.
»Ich weiß Ihre Sorge um die Jüngere Schwester Ch’en’ya zu
schätzen, se Jackie«, sagte sie.
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