Der dunkle Kuss der Sterne
sie oder um meinen Pakt.« Ich bildete mir ein, dass seine Züge im Mondlicht weicher wurden. »Glaub es oder nicht, aber es ist so: Zuerst sah ich in dir nur eine arrogante, herzlose Stadtprinzessin, die die Welt nur durch die Augen ihrer Gaben betrachten konnte, so wie all die Menschen im Zentrum deiner Stadt. Aber jetzt sehe ich … ein Mädchen, das sein Leben aufs Spiel setzt, um einen alten Hund zu retten, eine Frau mit dem Herzen eines Wüstenlöwen – und ich will sie um keinen Preis der Welt leiden und sterben sehen.«
Seine Worte berührten mich, lösten etwas in mir aus, das nichts mit dem dunklen Schmerz zu tun hatte, den ich um Tians Verrat litt. Es war, als hätte die Nacht mehr Glanz und Licht bekommen. Noch nie war ich so verwirrt gewesen. Niedergeschlagen und verraten, völlig am Boden. Und gleichzeitig so froh, dass der Mann, den ich vor Kurzem noch so sehr gehasst hatte, bei mir war.
Trau ihm nicht! , flüsterte es in mir. Vergiss nicht, wer er ist. Aber heute hörte ich nicht auf das, was ich als Moreno noch gedacht hätte. Ich wehrte mich nicht, als er zu mir trat und mich in seine Arme zog. Ich ließ mich in diese Nähe fallen, die mir schon so vertraut war, dass ich erst jetzt merkte, dass ich sie vermisst hatte. Es war seltsam: Wir standen auf verschiedenen Seiten, wir täuschten und belogen einander, aber dennoch waren wir verbunden. Der einzige Mensch, den ich noch habe, ist ein Sklave der Méganes . Und trotzdem ist er es, der mich aufgefangen hat und mir Geheimnisse anvertraut, die ihn das Leben kosten können. Noch nie, so wurde mir bewusst, hatte jemand mir ein größeres Geschenk gemacht.
»Siehst du meine … Lichter? Die ganze Zeit?«
Er schien zu überlegen, ob er auch dieses Geheimnis preisgeben sollte, aber dann nickte er zögernd, ich spürte die Bewegung. »Ein Mädchen, ein blonder Junge und ein Mann«, flüsterte er mir ins Ohr.
»Wie existieren sie?«
»Gewöhnlich sind sie wie im Schlaf und glauben, dass sie nur träumen.«
Ich lehnte meine Wange an Amads Schulter, schloss die Augen und stellte mir meine Stadt vor, so wie sie wirklich war: Menschen, die zwei, drei oder vier Gaben hatten – sie lebten umgeben und begleitet von diesem Heer unsichtbarer Geister, die mit ihnen verbunden waren, Tag und Nacht. Stimmen, die man nur in Gedanken hörte, pulsierende Häute aus Glas. Fünftausendeinhundertvierundsiebzig Bewohner des inneren Rings , rechnete Schwester Zahl. Zwei bis vier Gaben pro Person, das macht durchschnittlich mindestens fünfzehntausendfünfhundertzweiundzwanzig Lichter, die unsichtbar mit den Menschen leben. Der Gedanke machte mir Angst und faszinierte mich zugleich.
»Deine Lichter sind erwacht, vielleicht durch den Schmerz der zerrissenen Verbindung«, fuhr Amad flüsternd fort. »Sie versuchen sich vor mir zu verbergen. Weit hinter den Schleiern. Sie haben alles gehört, was ich gesagt habe, aber sie trauen mir nicht.« Es klang traurig.
Vorsichtig entzog ich mich Amads Umarmung und blickte über das Meer. Der Nebel hatte das Schiff längst verschluckt. »Sie leben hinter Häuten aus Glas«, sagte ich. »Die angeblich niemand durchschreiten kann.« Nur die Toten, erinnerte ich mich an Manoas Worte.
Amad seufzte. »Wer weiß, vielleicht ist es ja möglich – einmal in hundert Jahren. Aber wir werden das Rätsel nicht lösen. Bitte, Canda, du weißt nun, was auf dem Spiel steht. Lass Tian und deine Schwester gehen.«
Eines lernte ich über mich: Wer auch immer ich ohne meine wichtigste Gabe war, eine Frau, die einfach umkehrte und sich in ihr Schicksal ergab, war ich nicht. Ich konnte nicht an den Ort zurückkehren, an dem ich wie eine Blinde gelebt hatte, eingesponnen in einen Kokon aus Lügen. Trotzdem kostete es mich viel, den Kopf zu schütteln, so sehr kam ich mir nun wie eine Verräterin vor. »Tut mir leid, ich … kann nicht.«
Amad sah aus, als hätte ich ihm einen Schlag versetzt. »Was willst du denn noch? Rache? Die wirst du nicht bekommen!«
»Um Rache geht es nicht! Ich gebe dir mein Wort, dass du deinen Pakt erfüllen wirst. Und meine Lichter werden nicht sterben. Aber noch ist es mein Leben, und ich entscheide, wann ich aufgebe. Und vielleicht … gibt es einen anderen Weg.«
Diesmal fürchtete ich mich nicht, als die Wächter neben Amad aufflackerten.
»Glaubst du etwa, dass du deine Gabe zurückholen kannst?«, rief er. »Willst du ihr ein Hundehalsband umlegen und sie zu den anderen dreien zurückzerren?«
»Mach dich nicht
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