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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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jetzt damit anfangen?«
    Juniper entzog ihm sanft, aber entschlossen ihren Arm. »Vielleicht bin ich verrückt. Und vielleicht geht es ja gerade darum: Etwas anders zu machen als bisher. Seit Generationen nehmen wir es hin, dass die Stadt mit unserem Blut Geld verdient, und zahlen jedes Jahr mit weiteren Toten. Vielleicht wird es einfach Zeit für eine neue Art der Jagd?«
    Perem schnaubte. »Vielleicht hat der Kerl dir ja einfach nur den Kopf verdreht.«
    Junipers Augen wurden schmal und auch die Frauen zischten empört auf. Aber zu meiner Überraschung beherrschte sich Juniper. »Und wer hat dir den Kopf verdreht?«, meinte sie nur trocken. »Deine Geliebte namens Feigheit? Wenn es funktioniert, haben wir in drei Tagen so viel Geld, dass wir unseren Kopf nicht mehr hinhalten müssen.«
    »Nein, weil du keinen Kopf mehr haben wirst!«
    »Ich riskiere ihn ohnehin jeden Tag. Und wofür?«
    »Wofür?«, donnerte Perem. »Für die Familien, für die Alten, die nicht mehr für sich selbst sorgen können, für unser Dorf. Und du kennst die Regeln, Juniper: Niemand verlässt die Truppe. Wir fischen alle zusammen oder gar nicht. Und keiner von uns steigt so gut wie unbewaffnet auf ein Transportboot!«
    *
    Wir hatten die Geschwister im Streit zurückgelassen. Aber als ich das Boot sah, konnte ich Perems Zorn verstehen. Es lag ganz am Rand des Perlhafens, umgeben von einem Saum von Algenschaum. Mir sank der Mut. Das Boot war ein langes, flaches Gebilde mit einem halb verrosteten Motor und einem Notsegel, das schon bessere Zeiten gesehen hatte. Über Auslegerstangen war zudem noch eine größere Transportfläche mit dem Hauptboot verbunden. Metallnetze und Eisendornen schützten den Spalt zwischen den zwei Bootsteilen. Ein hoher Galgen mit einem Flaschenzug war am Rand befestigt. Amad sprang an Bord und natürlich folgte ihm die Graue wie ein treuer Gefolgsmann. Ich blieb stehen. »Du hast dem Besitzer des Bootes wirklich einen Eisenhai versprochen?«
    »Alles hat seinen Preis.«
    »Was machen wir ohne den dritten Mann?«
    »Während der Überfahrt noch weniger schlafen. Und du musst umso schneller lernen, eine Jägerin zu sein.« Amad grinste, als er sah, wie ich nach Luft schnappte.
    Ich ergriff seine ausgestreckte Hand nicht. Das Wasser gluckste gegen die viel zu niedrige Bordwand und es hörte sich an wie gieriges, schmatzendes Gekicher. Jetzt war mir endgültig übel.
    »Noch können wir umkehren«, fügte Amad vielsagend hinzu. »Wäre das Vernünftigste.«
    Das würde dir so passen . Ich schüttelte den Kopf, nahm meinen ganzen Mut zusammen und sprang über den Graben aus Wasser. Der Motor röhrte auf und erstarb, aber bevor er noch einmal starten konnte, landete jemand neben mir auf dem Boot. Ein Bündel schlug dumpf auf den Planken auf, Seile prasselten, Harpunen rollten mir vor die Füße. Juniper richtete sich auf und rang nach Luft. Sie war aschgrau im Gesicht und ihre Augen waren gerötet, ich konnte mir vorstellen, welchen Kampf sie mit ihrer Truppe geführt hatte. Mit einem Ruck öffnete sie das Bündel und zerrte vier grob gegerbte Häute heraus. »Von unserem ersten Fang«, japste sie. »Je mehr wir haben, desto besser. Und jetzt wirf den Motor an, Amad! Dafür, dass ich meinen eigenen Leuten die Prämie für vier Haie gestohlen habe, ziehen sie mir das Fell über die Ohren.«

Der Meeresnebel entstand an der Scheide zwischen kaltem und warmem Wasser, eine Wand aus Weiß, die zu Geistergestalten verwirbelte, als das Boot in die Strömung einfädelte. Der Motor verstummte. Schwarze Ascheflocken klebten am Bootsrand und trudelten an der Wasseroberfläche. Und dazwischen leuchteten golden die phosphoreszierenden Fische, die uns neugierig folgten. Noch nie in meinem Leben war ich so froh gewesen, dass Juniper an meiner Seite war. Und noch nie hatte ich solche Angst gehabt. Die Planken unter meinen Füßen fühlten sich an wie eine dünne Membran, die jederzeit reißen konnte. Und mein Kopf rechnete unbarmherzig Wassertropfen zu Kubikmetern um – und multiplizierte Kubikmeter zu unendlichen schwarzen Tiefen unter meinen Füßen. In jeder Welle glaubte ich eine graue Flosse zu entdecken, in jeder Nebelspur Gestalten, die auf das Boot krochen. Aber das war noch nicht das Schlimmste: Ich hatte mir eingeredet, dass meine Liebe zu Tian in der Nacht am Schädelhafen zu einem Kokon erstarrt war, in dem nur noch etwas Dunkles, Zorniges darauf wartete, ans Tageslicht zu kommen. Aber jetzt quälte mich die Erinnerung an die

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