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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Wächterschatten auf. Von wegen innere Stimme . Miese tote Verräter!
    Ein Pfiff und die Bestie ließ von mir ab, dafür packte mich der Kommandant am Jackenkragen. Ich hatte viel gelernt auf dem Schiff. Zum Beispiel, dass jede Sekunde für einen Überraschungsangriff kostbar war. Ich nutzte den Schwung, mit dem mich der Kommandant grob hochriss, und erwischte seine Nase in einem perfekten Winkel mit dem Ellenbogen. Es gab ein hässliches Knirschen, dann traf auch mein Stock ihn mit voller Wucht, wenn auch unpräzise. Ohne exakte Millimeter und Zeitrechnung zu kämpfen, war wie der Versuch, betrunken auf einer gemalten Linie zu rennen. Die Überraschung gab mir immerhin ein paar Sekunden. Aus dem Augenwinkel sah ich seine Faust heransausen und konnte gerade noch wegtauchen. Aber dann presste sich ein eisiger Ring aus Eisen gegen meine Schläfe. Die Mündung einer Schusswaffe. »Stock weg, Moreno.« Ich gehorchte, als es an meiner Schläfe klickte. Aus dem Augenwinkel sah ich den wutverzerrten, ewig lächelnden Mund und das silberne Abzeichen der Garde in Form einer Wüstenblume mit der eingestanzten Rangnummer.
    Meons schattiger Umriss schnellte an mir vorbei. Der Schuss löste sich in dem Moment, in dem ich den Gewehrlauf nach oben schlug. Der Hund jaulte auf und überschlug sich. Der schwarze Dolch blitzte nicht, er tauchte wie ein schwarzer Hai durch ein Meer aus Schnee und biss zu. Rote Tropfen fächerten über den Schnee. Krallen kratzten über Stein, dann schlitterte das Tier über den Treppenrand und fiel in die Tiefe. Eine Baumkrone rauschte, Äste brachen. Der Kommandant dagegen stürzte ohne einen Laut auf die Treppe. Schneeflocken fielen in offene, tote Augen und schmolzen. Es blieb keine Zeit für Schrecken, Meon nahm meine Hand, wir sprangen über den liegenden Körper und jagten die Treppe hoch. Rufe echoten an Schluchtwänden. Der Schuss hatte die Treibjagd auf unsere Spur gelenkt. Nicht jetzt! , dachte ich verzweifelt. Sie dürfen uns nicht bekommen! Schnee haftete an meinen Wimpern und machte mich fast blind – aber Meons Hand umklammerte meine und führte mich sicher über eine breite Schwelle. »Ducken!«, befahl er mir. Für einen bizarren Moment fühlte ich mich an Ghan erinnert. Den Gerichtssaal der Méganes betrat man auch mit gebeugtem Nacken.
    Plötzlich bekamen die Geräusche einen Hall. Eine Tür donnerte hinter mir ins Schloss, alte Riegel knirschten und rasteten ein. Ich kam schlitternd auf spiegelglattem Boden zum Stehen und sah mich fassungslos um. Ein Teil des Gebäudes hatte Felswände. Aber nahtlos schlossen sich andere Wände an. Diffuses Licht fiel durch Glas, teilweise schneeblind, teilweise mit Flechten überwuchert. Der Saal verzweigte sich in ein Labyrinth aus Gängen und Kammern, durchbrochen wie die Facetten eines Kristalls. Es war wie in einem Traum eines größenwahnsinnigen Glasmachers. Und die Stille schien eine eigene Stimme zu sein, die alles ausfüllte.
    »Sind wir in einer anderen Wirklichkeit?«, flüsterte ich Meon zu.
    Die Frage schien ihn zu amüsieren. »Schön wär’s. Komm mit!«
    Ein krachender Schlag holte mich aus meiner Illusion. Die Soldaten waren noch da. Und sie versuchten die Tür aufzubrechen.
    Ich folgte Meon, auf meinen Stock gestützt, weil der Untergrund glatt war. Glas, wie im Haus der Verwaisten. Aber unter dem Boden waren keine gefangenen Menschen, nicht einmal ein Raum, nur rauer Fels. Die Schläge gegen die Tür vervielfältigten sich zu einem Kanon aus Echos, als wir in das Labyrinth eintauchten. Schmale Wendeltreppen führten nach oben, und dann, mitten in einem Gang, schob Meon mich auf eine Plattform im Boden. Ein Hebel rastete ein, das Klackern einer Mechanik echote um mich herum, dann schnellten wir nach oben. Ein Aufzug ohne Wände! Nicht hydraulisch, wie in Ghan, sondern mit Gegengewichten bewegt. Wir wurden so schnell nach oben gezogen, dass mir flau im Magen wurde. »Glaubst du, Kallas ist hier?«, flüsterte ich.
    »Ich hoffe es. Es gibt noch einen zweiten Weg in den Palast.«
    Palast . Ich blickte nach unten, wo sich Glaskorridore, Wände und Kammern wie eine riesige Blüte zu entfalten schienen, je weiter wir nach oben kamen. Nein, keine Blüte. Ein Zentrum, um das sich Kreise schlossen. Ringe. Wie der Grundriss Ghans.
    »Hier war euer Zuhause?«, fragte ich atemlos.
    »Oh nein, wir stammen aus einer anderen Wirklichkeit, weit hinter euren Sphären der Welt. In eurer Welt sind wir für gewöhnlich unsichtbar, wir reisten nur in

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