Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
euren Träumen. Aber Meda liebte die Menschen und brach dieses Gesetz für einige Zeit. Sie wollte euch nah sein und von euch lernen, deshalb gibt es diese Paläste, überall dort, wo wir unter euch sein wollten, sichtbar, greifbar, wie ihr.«
    Meda! Der Stern Nummer hundertfünfzehn . »Ihr seid also wirklich keine Legende«, sagte ich leise. »Amad hat mir die Geschichte von Prinzessin Meda erzählt. Er sagte, Medas Volk kann durch Träume reisen. Es kann Glut ohne Feuer und Liebe ohne Küsse entfachen, Kriege ohne Waffen und Lachen ohne Stimme. Das seid ihr!«
    »Das waren wir.« Meon seufzte. »Vom Anbeginn der Zeit. Bis zum dem Tag, an dem deine Vorfahren uns gefangen nahmen. Wir waren wie Sterne, die den Menschen den Weg zeigten, eure Inspiration, eure Ideen, eure Gedanken in der Nacht, die euch mit klopfendem Herzen und der Lösung für ein Problem erwachen ließen. Unsichtbar waren wir bei euch, nur wenn wir durch eure Träume wanderten, konntet ihr uns sehen und unsere Stimmen hören. Immer dort, wo jemand etwas erschuf, eine Idee hatte, wenn ihm etwas besonders gut gelang, da hatte einer von uns ihn berührt und ihm diesen Funken eingegeben. Dort, wo ein Mädchen bei einem Lachen in einer Schönheit aufblühte, die sie leuchten ließ – das war Kallas’ Kuss. Dort, wo ein Wissenschaftler eine Erfindung machte, ein Jäger eine neue Strategie fand, ein Gefangener einen Ausweg, war es einer von uns, der diese Eingebung schenkte. Wir schärften eure Talente und brachten sie zum Strahlen. Wir brachten Menschen diesen Funken, der Neues schuf. Aber jetzt …«
    Er verstummte, aber ich kannte die Antwort längst. »Früher liebte ich die Sterne« , sagte Amad in meiner Erinnerung. »Aber sie sind erloschen.« Benommen schloss ich die Augen. Um mich herum kreiste ein Mahlstrom bizarrer Bilder. Blaue Strichfiguren tanzten über Höhlenwände, sangen wie in einem Kinderreim mit Junipers Stimme: » Wir bleiben dieselben, erstarrt in dem, was wir immer schon taten.«
    Anders als die Menschen in Ghan , setzte ich in Gedanken hinzu. Wir hatten alles: Inspiration, Schönheit, Reichtum und Technik, die wie Magie wirkte.Und die Welt außerhalb Ghans zahlte den Preis dafür. Städte wie Tibris, die ihren Glanz verloren und ins Elend stürzten. Kosta hatte es mir gesagt, und auch die Traumdeuterin und Sklavenhändlerin Manoa: »Die Welt blutet aus, es entsteht nichts Neues.«
    Weil der Funke fehlt, die Inspiration , dachte ich erschüttert. Weil die Menschen in Ghan alle Talente und Inspirationen für sich gestohlen haben und gefangen halten. Seit Millionen von Träumen.

Auf eine gespenstische Art war es, wie nach Hause zu kommen, in ein eisiges Negativ meiner Stadt, die obersten Etagen der Zentrumstürme. Klirrender Wind fauchte Schneekristalle gegen vereiste Scheiben, so wie der Wüstenwind in Ghan den Sand. Staub lag auf glatten schwarzen Truhen mit Silberbeschlägen. Stühle waren von Konferenztischen aus Metall geschoben, als hätte sich jemand gerade erst erhoben. Aber Staub und Rost erzählten etwas anderes.
    Doch jemand war vor Kurzem hier gewesen. Ich entdeckte verwischten Staub auf einer Truhe, Linien von Fingern; weitere Truhen, die sich an den Wänden reihten, waren aufgerissen worden. Aus einer hing Stoff heraus, als hätte jemand die Truhe hastig durchwühlt. Silberne und goldene Stickerei glänzte – die Muster erkannte ich sofort, und auch einen Flügelärmel, der von Borten gesäumt war. Noch vor Kurzem hätte ich gesagt, es sei ein Zeremoniengewand meiner Familie, aber inzwischen wusste ich es besser.
    Vor einer Tür ballte sich ein dunkles Lumpenbündel, achtlos fortgeworfene Kleidung. »Sie ist hier! Das ist ihr Soldatenmantel!«, rief ich Meon zu.
    Jemand schien mir zu antworten in einem klagenden, hohlen Heulen. Ein scharfer Windhauch strich an mir vorbei, am Ende des Ganges schlug eine Tür zu. Ich stürzte los. Mit aller Kraft stemmte ich die Tür auf und rannte als Erste in einen achteckigen Saal aus Eis und Wind. Schnee fing sich in meinem Mund, Kälte stach in meiner Lunge. Eisblumen sprossen an vereisten Wänden und sieben Metalltüren, von denen vier offenstanden. Unter meinen Schuhen knirschten Scherben, stumpf und matt geworden in vielen Wintern.
    Und da … war sie !
    Sie kauerte an der einzigen Wand ohne Tür, den Kopf in den Armen vergraben. Dort, wo Amad sie am Handgelenk verletzt hatte, prangte ein Bluterguss. Vor ihren Füßen ein langes, gebogenes Sichelschwert, so schwarz wie mein

Weitere Kostenlose Bücher