Der dunkle Kuss der Sterne
leise auf. »Sklaven sind Sklaven, egal ob mit Haut, aus Rauch oder Licht bestehend, oder mit Fell.« Sie deutete auf ihre angeketteten Raubkatzen, die sich die Tatzen leckten. »Im Grunde ist es gleichgültig. Jede Zeit hat nun einmal ihr Handelsgut. Einst waren es Pelze und Muscheln, Beute von Jagdzügen. Später Wissen und Erfindungen. In anderen Zeiten bezahlte man mit Blut, das waren die Zeiten der Kriege. Es gab die Friedenszeiten von Gold und Perlen, von Reichtum und Musik, von Überfluss. Und jetzt? Haben wir nun mal die Zeit der Ketten. Auch sie wird vorbeigehen, vielleicht schneller als wir denken. Vielleicht handeln wir dann mit Knochensand oder Geschichten, die Hoffnung bringen. Nun, ich werde immer meinen Gewinn haben. Denn ich weiß immer, auf welcher Seite ich mich am besten schlage. Und welchen Preis ich für meine Dienste verlangen kann.« Sie klopfte mit dem Rosendiamanten an ihrem Ring auf das Holz der Armlehne.
»Aber noch sind wir deine Handelspartner«, sagte ich. »So gute, dass du es uns schuldig bist, eine Reise mehr im Jahr zu machen.«
Manoa lehnte sich zurück und verschränkte die Hände vor dem Bauch. »Schuldig?«, sagte sie fast gelangweilt. »Weißt du, was komisch ist? Auf dem Dach des Zuges hätte ich geschworen, du seist ein Stadtmädchen auf der Flucht.«
Ich hoffte, sie würde nicht spüren, wie schnell mein Herz schlug. Weiß sie es?Hat sie mich durchschaut und wird mich verraten?
»Vorsicht« , raunte mir auch Kallas zu.
Ich lächelte. »Und du hättest eine flüchtige Hohe laufen lassen?«
Manoa stutzte. Ich konnte ihre Gedanken fast sehen. Welche Strafe steht darauf?
»Du hast natürlich recht«, ergänzte ich. »Vielleicht bin ich eine Verurteilte, die gegen das Stadtgesetz verstoßen hat. Aber dann würde ich wohl kaum wieder nach Hause wollen. Vielleicht bin ich aber auch im Auftrag der Méganes unterwegs.«
»Warum sollten die Méganes ein Stadtkind in die Wüste lassen?«
Ich senkte die Stimme. »Sie sagten zu mir, eine zukünftige Mégana sollte ihre Länder kennen. Und sich zu behaupten wissen. Nun, bisher habe ich meine Prüfung bestanden.«
Manoas blinde Augen wurden schmal. Zum ersten Mal hatte ich sie wirklich verunsichert. Ich konnte fast hören, wie sie ihre Chancen und Zweifel gegeneinander aufwog.
»Soweit ich weiß, gibt es mehr Anwärter auf diesen Titel«, setzte sie dagegen. »Vielleicht wirst du gar nicht Mégana.«
»Aber wenn ich es werde, dann wird in den Geschichtsbüchern stehen, dass eine Händlerin namens Manoa die neue Herrscherin einst zu Fuß nach Hause gehen ließ wie eine Bettlerin.«
Manoa leckte sich über die indigoblauen Lippen und schwieg.
Ich ging vorsichtig an den Löwen vorbei. Einer fauchte, aber er wich vor mir zurück und verkroch sich hinter Manoas Thron. Als ich die Hand auf ihren Arm legte, zuckte sie zusammen. Ich hatte tatsächlich vergessen, dass sie blind war. »Manoa, es ist eine wichtige Mission. Du hast heute Nacht schon zwei Gefangene auf die Reise zurück nach Ghan geschickt. Einen Sklaven namens Amad und einen Hohen mit vier Lichtern. Er ist der flüchtige Gefangene, und Juniper hat mir wertvolle Dienste dabei geleistet, ihn für die Méganes zu finden. Mein Auftrag ist es, ihn vor Gericht zu bringen und zu töten. Das habe ich den Méganes mit meinem Blut geschworen – das blaue Mal an meiner Hand kennst du ja. Und die nächsten Reisenden, die du hier erwartest, sind zwei Kommandanten der grauen Garde, darunter Kommandant Taled. Er sollte mich zurück nach Ghan begleiten, aber er hat noch einen Auftrag zu erfüllen.« Ich zog das silberne Abzeichen des Kommandanten hervor und legte es in Manoas Linke. »Hier, prüfe die Rangnummer.« Manoa war ein wenig blass geworden, soweit ich es bei den ganzen Tätowierungen erkennen konnte. Aber wie erwartet, schluckte sie den Köder, ein Geheimnis zu erfahren.
»Eine Mission«, sagte sie. »Dann gib mir ein Stichwort, Verwandte. Sonst läufst du.«
Ich beugte mich noch weiter vor. »Die Zeit der Ketten ist noch lange nicht vorbei«, flüsterte ich. »Sie beginnt erst. Wir haben Tausende von neuen Gaben gefunden, Manoa, in ihrem Versteck. Jede von ihnen ein halbes Königreich wert. Du wirst reicher werden, als du es dir jetzt schon erträumen kannst.«
Ich hatte erwartet, die Sonne in ihrem Gesicht aufgehen zu sehen, aber die Alte wirkte seltsamerweise enttäuscht. »So?«, sagte sie nur und gab mir das Abzeichen zurück. »Tja, weißt du, um ehrlich zu sein, ich
Weitere Kostenlose Bücher