Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
erschöpfend erschienen, aber die Reise hatte mich zäh gemacht. Auch Manoa kämpfte sich unverdrossen vorwärts, ohne eine Pause einzulegen.
    Die Stadt kam in Sicht, als die Sonne die Türme in rote Glut tauchte und die Silberkuppeln gleißen ließ. »Das glaube ich nicht!«, flüsterte Juniper neben mir fassungslos. Und auch mir verschlug es den Atem. Heute betrachtete ich die Zitadelle mit den Augen der Gewöhnlichen, zu denen ich gehörte. Und immer schon gehört habe. Es war erschütternd und faszinierend zugleich, wie magisch und transparent die Stadt wirkte, gleißend und funkelnd und fast schwebend wie die Fata Morgana eines Traumgebildes, das beim nächsten Blinzeln verschwunden sein könnte.
    Ich konnte den obersten Teil des Turmes sehen, in dem ich aufgewachsen war. Auch er blendete mich mit der Kälte gnadenloser Perfektion. Dort oben saßen meine Eltern um diese Zeit für die Abschlussbesprechung ihres Richtertages im Arbeitszimmer. Und Vida? Ob sie aus dem Fenster schaut? Jetzt? Die Sehnsucht nach meiner kleinen Schwester überwältigte mich.
    »Die Dächer, ist das … Silber?«, wollte Juniper wissen. »Alles?«
    »Ja, Ghan besitzt den Reichtum der Welt«, antwortete ich leise. Auch du und deine Truppe haben dafür bezahlt.
    Über das Bluttor hatte ich meine Stadt verlassen, heute trat ich mit Manoa vor das Haupttor. Der Torwächter, der das kleine Panzerglasfenster öffnete, vergaß vor Erstaunen die korrekte Begrüßungsformel. »Frau Manoa? Der nächste Termin ist doch erst in …« Man hörte das hektische Blättern in einem Papierstapel.
    »Brauchst nicht zu suchen, Filomar, ich bin nicht angemeldet, das ist eine Sonderlieferung«, sagte Manoa. »Und ich habe zudem in Tibris den Auftrag bekommen, diese junge Herrin zurück ins Zentrum zu begleiten. Anweisung von Gardekommandant Taled.«
    Ich gab ihm ein ungeduldiges Handzeichen. »Mach auf!«
    Natürlich gehorchte der Wächter nicht sofort, aber er wurde unsicher. Manoas Wort wog offenbar viel – und er erkannte eine Hohe, wenn er sie sah. Dennoch siegte sein Pflichtbewusstsein. »Ich muss nachfragen, Herrin.«
    »Tu das«, erwiderte ich mit drohender Gleichgültigkeit. »Aber beeil dich, wenn dir dein Leben lieb ist. Die Mégana erwartet mich. Und für jede Minute, die ich noch länger in der Hitze herumstehen muss, wird sie dich einen Tag ohne Wasser auf dem Richtplatz an einen Pflock ketten lassen.«
    Es war erschreckend, wie mühelos und richtig es sich anfühlte, in mein altes Sein einzutauchen. Juniper war sichtlich befremdet von meiner Härte.
    Der Wächter wurde blass und sah fragend zu Manoa. Aber die zuckte nur mit den Schultern. »Eine Minute ist schon um.«
    Es schnappte im Schloss und das Tor öffnete sich.
    Ich holte noch einmal tief Luft, dann nahm ich allen Mut zusammen und machte den ersten Schritt über die Schwelle meiner Stadt. Das Unbehagen der Lichter war wie ein Eisschauer auf meiner Seele. Die Dolchspitze drückte mir mahnend gegen den Rücken, als ich mit erhobenem Haupt die polierte Marmorstraße betrat. Hier im vierten Ring wirkte ich so fehl am Platz wie ein Rubin auf einem Strohlager. Juniper hatte mir ein Stück Goldborte ins Haar geflochten, aber mein Glanz überstrahlte jeden Schmuck. Die Diener, deren Lebensaufgabe es war, die Straße zu fegen, verbeugten sich neben ihren Zelten. Die Leute in der Nähe starrten mich mit offenen Mündern an, eine leibhaftige Hohe ohne Leibwächter, die einen Jagdhund an der Leine führte. Es war so still, dass man jeden unserer Schritte hörte.
    Der überraschende Auftritt verfehlte seine Wirkung nicht, unser Ruf eilte uns voraus. Inzwischen waren vier Wächter zu uns getreten und eskortierten mich.
    Es funktioniert tatsächlich!, dachte ich fast erstaunt. Noch eintausendvierhundertneunundneunzig Schritte bis zum Zentrum.
    Bei den Toren zum zweiten und dritten Ring musste Manoa nicht klopfen, sie öffneten sich, ohne dass wir stehen bleiben mussten. Wenig später wurden wir ins Zollhaus vor der Zentrumsmauer gebeten. Über uns ragten die Türme auf wie drohende Wächter. Bisher hatte ich den Weg wie in Trance gemeistert, aber jetzt bekam ich zum ersten Mal Angst. Ab hier durfte ich mir keine Blöße geben, nicht die geringste Angst zeigen. Diesmal war es Juniper, die mir ermutigend zuzwinkerte. Und mir wurde warm ums Herz, weil diese Abenteurerin, die hundertmal mutiger war als ich, an meiner Seite war.
    Der Warteraum duftete nach Rosen. Klimatisierte Luft kühlte unsere Stirnen,

Weitere Kostenlose Bücher