Der dunkle Kuss der Sterne
zwei nervöse Diener schenkten aus versilberten Glaskelchen Wein in kostbare Gläser. Ein alter kahlköpfiger Mann, seiner weißen Tracht nach zu urteilen ein Verwalter aus den mittleren Etagen des Zentrums, kam in den Raum. Völlig irritiert versuchte er aus meiner Aufmachung schlau zu werden, was ihm natürlich nicht gelang. »Willkommen im zwölften Zollhaus, Herrin …«
»… Moreno«, half ihm Manoa auf die Sprünge.
Seine Augen wurden groß. »Welche Ehre! Und welche … Überraschung!« Er klappte in einer Verbeugung zusammen.
Ich gönnte ihm nur ein kurzes, geschäftsmäßiges Nicken.
»Und Manoa aus Tibris?«, setzte er hinzu. »Wir hatten Euch erst in fünf Monaten wieder erwartet …«
»Heb dir die Konversation mit der Händlerin für später auf und verschwende nicht meine Zeit«, unterbrach ich ihn scharf. Auf einen strengen Wink hin holte Juniper den versiegelten Brief hervor, den ich in Tibris verfasst hatte, und reichte ihn dem Mann. »Leite das Schreiben an das Sekretariat der Mégan weiter. Sofort! Die Höchste Herrin erwartet schon ungeduldig meinen Bericht. Und lass ihr auch das hier aushändigen.« Ich reichte Juniper Amads schwarzen Dolch und Marams Schlüssel. Die Schlösser im Haus der Verwaisten waren sicher sofort ausgetauscht worden. Aber als Geste für die Méganes konnte es mir nur nützen, die Schlüssel freiwillig zurückzugeben.
Jetzt hatte der Verwalter Schweiß auf der Stirn. »Sehr wohl, Herrin.«
»Bereitet die Bittstellerin aus Tibris wie üblich auf die Anhörung vor«, ergriff nun Manoa das Wort. »Alles Weitere wird Herrin Moreno selbst mit den Méganes aushandeln.«
Ich konnte in Junipers alarmiertem Blick lesen. Manoa lässt uns allein? Was soll das?
Offenbar verstieß das gegen die Regeln. Der Verwalter war so irritiert, dass er stotterte. »Ihr … Ihr geht wieder fort?«
Manoa stand auf. »Tja, es ist Herrin Morenos Kundin«, sagte sie mit gut geheucheltem Bedauern. »Mir steht kein Lohn dafür zu.«
»Sehr wohl.« Der Verwalter gab Juniper einen Wink. Sie drückte die zusammengerollte Haihaut so fest an sich, dass ihre Knöchel ganz weiß wurden, aber sie folgte dem Verwalter. Die halbe Nacht hatten Juniper und ich damit verbracht, unsere Geschichten genauestens aufeinander abzustimmen, für den Fall, dass man uns getrennt befragen würde. Trotzdem raste mein Herz. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
»Lasst uns allein!« Die restlichen Diener flohen aus dem Raum, als hätte eine Windsbraut sie hinausgefegt. »Was soll das?«, wandte ich mich an Manoa. »Warum führst du nicht die Verhandlung wie bei jedem anderen Kunden?«
Die alte Händlerin lachte trocken auf. »Die Abmachung lautet, ich bringe dich in die Stadt zurück, das habe ich hiermit getan. Der Rest ist deine Angelegenheit, zukünftige Mégana. Wer mit Geistern sein Geld verdienen will, muss sie zumindest einmal selbst verkaufen. Aber ich gebe dir ein paar Hinweise für die Verhandlung.« Aus den Falten ihres grauen Gewandes fingerte sie einen zerknitterten Zettel hervor.
Ich konnte kaum verbergen, wie enttäuscht ich war. »Du traust mir also nicht. Oder hast du Angst vor den Méganes?«
»Angst?« Sie grinste süffisant mit ihren blauen Lippen. »Angst ist etwas für Diebe und Verliebte. Und um Vertrauen geht es mir nie, so gut solltest du mich inzwischen kennen. Ich weiß nur, wann ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin – und wann ich besser mache, dass ich wegkomme. Selbst wenn die Mégana persönlich mich heute einladen würde, meinen Hintern im Eisernen Turm auf Seidenkissen zu betten – nein, danke.«
Ich fröstelte und auch die Lichter wurden unruhig. Ahnt sie etwas?
An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Ach ja, hier noch ein kleiner Rat für dich, Familie hält ja zusammen, nicht wahr?« Sie deutete so zielsicher auf meine rechte Hand, als könnte sie sehen. »Bevor du vor die Méganes trittst, nimm den schwarzen Schmuck der Geister ab.« Mir wurde siedend heiß. Tatsächlich trug ich immer noch Medas Ring. Wie konnte ich so etwas Wichtiges übersehen! Und dann erkannte ich, dass die gierige, herzlose Manoa wohl tatsächlich etwas für mich übrighatte. »Die Méganes könnten sonst denken, du hast was für Sklaven übrig«, sagte sie leise. »Oder zumindest für einen von ihnen, den du so vertraulich Amad nennst, statt, wie es in euren Kreisen richtig heißt: Amad-Ar!« Manoa grinste breit. »Tja, und jetzt weißt du auch, was Diebe und Verliebte gemeinsam haben: Sie
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