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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Nächster in das Zwischenreich des unsichtbaren Kerkers. Seine Umarmung war wie Seide auf meiner Seele, vertraut und schön und so schwer wie nasser Samt. Wahida folgte mit einem entschlossenen, genau bemessenen Schritt. Ich musste lächeln, als hinter meinen geschlossenen Lidern Zahlen aufblühten, meine Welt Struktur aus Sekunden und Millimetern bekam. Kallas zögerte. Aber schließlich, nach einer Ewigkeit, murmelte sie: »Also gut.«
    Ihre Berührung schickte mir einen kalten Schauer über den Rücken. Es war wie ein zorniger Kuss und alles in mir wurde farbig und grell und bekam den Glanz, nach dem ich so lange gehungert hatte. Trotz allem erfüllte mich eine verzweifelte Sehnsucht, die Schönheit, die ich so sehr vermisst hatte, nie wieder loszulassen.
    Dann fühlte ich die Spitze eines schwarzen Dolchs zwischen meinen Schulterblättern. »Gewöhn dich nur nicht wieder zu sehr daran« , flüsterte Kallas irgendwo in mir. »Denk an dein Versprechen: Erst befreien wir Gavran. Und wenn du versuchst, uns reinzulegen, bist du tot.«
    »Ich glaube es einfach nicht«, sagte Juniper ehrfürchtig. »Sie sind einfach immer blasser und dann unsichtbar geworden – aber du … du bist …«
    »Überirdisch schön«, antwortete ich. »Übermenschlich begabt. Und voller Glanz.« Ich erschrak vor meiner Stimme, so wie sie früher gewesen war – voller Klang, wie ein Lied, das niemand vergaß, der es einmal gehört hatte.
    *
    Es war einer der kühleren Frühherbsttage, aber nach den Tagen im Schnee erschien mir der Weg zum Sklavenhafen wie ein Gang durch Lavafelder. Ich ertappte mich dabei, wie ich immer wieder nervös nach Amad und den Soldaten Ausschau hielt. Aber wahrscheinlich hatten sie Tibris schon verlassen. Vielleicht auf demselben Weg, wie wir es vorhaben.
    Die Passanten machten uns ehrfürchtig Platz – einer jungen, reichen Herrin, die in einem goldbestickten Mantelkleid und einem goldenen Seidenumhang strahlte, und ihrer Dienerin, die das Gepäck trug und einen Jagdhund an einer Leine führte.
    Ich hätte lügen müssen, um zu sagen, dass ich mich nicht vollständig fühlte – im ganzen Glanz meiner geliehenen Schönheit, mit den Gaben, die mich die Welt wieder sehen ließen, wie ich es von Geburt an gewöhnt war. Aber heute spürte ich auch die Begrenzungen dieser Existenz wie ein zu eng genähtes Kleid, das mir die Freiheit nahm, mehr als nur genau abgezirkelte Schritte zu machen. Wahidas Zahlen ermüdeten mich und mein Glanz richtete unangenehm viele sehnsüchtige Blicke auf mich.
    Händler drängten sich uns in den Weg und wollten mich um jeden Preis zu den Markständen lotsen. Sie priesen ihre lebende Ware an und überboten sich mit Rabatten für die Schönste aller Herrinnen, aber Juniper verscheuchte sie und Meon dirigierte mich zielstrebig zu den Händlerpalästen.
    Wie alle Händlerpaläste war auch Manoas Domizil mit Menschenfiguren aus Marmor geschmückt – aber an der Fassade dieser bizarren Villa prangten auch Fratzen von Dämonen und in Stein gemeißelte vergoldete Füllhörner voller Schätze und Versprechungen. Auf dem gebeugten Rücken einer Dämonenfrau ruhte ein kleiner Balkon. Darunter standen Türsteher in Golduniformen.
    Den Auftritt einer Hohen hatte ich nicht verlernt. Ich wartete gar nicht erst, dass sie mich ansprachen. »Führt mich zu Eurer Herrin!«
    »Habt Ihr einen Termin?«
    »Wozu sollte ich einen brauchen?«, erwiderte ich kühl, aber schon leicht verärgert. »Richtet Manoa aus, ihre Verwandte will sie sprechen. Canda Moreno, aus Ghan!«
    Zumindest die Erwähnung der Stadt wirkte. Der Türsteher riss die Augen auf, aber immer noch wusste er nicht, ob er mir glauben sollte. Neben mir hielt Juniper die Luft an. Ich machte nicht den Fehler, ihn mit Worten zu überzeugen. Zu gut kannte ich die Sprache wirklicher Macht: Schweigen. Also ließ ich die Pause unangenehm lang werden und fixierte den Mann mit dem kalten, ruhigen Blick einer Prinzessin, die langsam die Geduld verlor. Wie erwartet, gewann ich das Kräftemessen. Der Wächter senkte den Blick.
    »Einen Augenblick, Herrin. Ich gebe Manoa Bescheid.« Auf seinen Wink hin verschwand sein Kamerad nach drinnen. Kurze Zeit später klappte über uns eine Tür. Manoa erschien auf dem winzigen Balkon. Ihre blinden Augen fanden mich sofort. Besonders erfreut schien sie nicht zu sein. »Sieh an, vier«, bemerkte sie nur.
    *
    Manoas Empfangssaal glich einer Räuberhöhle, in der jemand alles, was er an Prunk und Schätzen erbeutet hatte,

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