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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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gesagt, Canda?«
    »›Schlaf tief und traumlos‹«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »›Aber vorher denk an mich, wenn du den Mitternachtswein trinkst.‹«
    »Mitternachtswein? Was soll das sein?«
    »Eine Art privater Zeremonie, Höchster Vater. In letzter Zeit saßen Tian und ich ab und zu auf dem Dach. Wir redeten und tranken Wein, den Tian mitgebracht hatte. Er liebte den Geschmack von Zillagewürz. In der Nacht vor der Verbindung wollten wir beide von dem Wein trinken. Es …« Ich musste krampfhaft schlucken, um weitersprechen zu können. »Es … sollte das Zeichen unseres Versprechens sein.«
    »Aha. Und worüber habt ihr geredet?«
    »Tian … sprach über seine Vorfahren. Damals, als sie noch auf den Perlinseln lebten. Er erklärte mir, wie sie mit Hilfe der Sterne navigierten und in ferne Länder reisten.«
    »Hat er angedeutet, dass er dorthinwollte?«
    Ich schüttelte erstaunt den Kopf. Es war eine seltsame Frage. »Natürlich nicht! Warum sollte er?«
    »Die Fragen stelle ich! Sonst hat er nichts gesagt?«
    Meine Mutter warf mir einen warnenden Blick zu.
    »Er sagte: ›Möge kein Traum deinen Schlaf stören.‹«
    Der Mégan kniff die Augen zusammen. In dem kalten Licht des Saales wirkten sie so schwarz und tot wie Onyx-Steine. »Und? Hast du geträumt?«
    Mit einem Mal war es im Raum so still, dass sogar das kaum wahrnehmbare Surren der Klimaanlage unangenehm laut klang.
    »Ich … habe im Schlaf wirre Bilder gesehen.«
    »Was für Bilder?«
    »Gesichter und Stimmen. Aber ich erwachte bald, weil ich spürte, dass Tian etwas zugestoßen war. Und ich bin sicher, die Bilder waren keine Träume – sondern der Widerhall von Tians Leid. Er muss genau um diese Zeit entführt worden sein.« Es war die Erklärung, die meine Mutter mir eingeschärft hatte, aber sie fühlte sich absolut wahr an. Und vielleicht glaubte mir der Mégan deshalb. »Gut. Nimm bei den anderen Zeugen Platz.«
    Tians Verwandte rückten von mir ab, sein jüngster Bruder, der mich schon seit Monaten liebevoll Schwesterchen nannte, starrte mich an wie einen Geist.
    »Oné und Manja Labranako?«, wandte sich der Mégan an Tians Eltern. »Seid ihr bereit?«
    Die beiden waren totenblass geworden, aber sie standen auf und nickten. »Wir sind bereit, Höchster Bruder«, sagten sie wie aus einem Mund.
    »Bringt ihn herein!«, befahl der Mégan.
    Wachen setzten sich in Bewegung und öffneten eine Seitentür. Ein Scharren kam von draußen, dann erschienen zwei Mitglieder der berüchtigten Gefängnisgarde. Hochgewachsene Männer in grauen Uniformen, Niedere von Geburt, aber für ihre Dienste im Kerker geeignet. Sie schleiften einen kraftlosen, halbnackten Körper über die Schwelle. Der Geruch von ungewaschener Haut, Angst und Eisen füllte den Raum. Einige Labranakos hielten sich parfümierte Taschentücher vor das Gesicht.
    Ich spürte kaum, wie ich aufsprang, ich konnte nur das Unfassbare anstarren, den Schrei schon in der Kehle.
    Tian! Sein Kopf hing vornüber wie bei einer Puppe. Seine roten, wirren Locken hingen ihm tief ins Gesicht, um seinen Hals wanden sich rote Schlangenornamente. Ich wollte zu ihm stürzen, ihn umarmen, ihn stützen, sein Gesicht mit Küssen bedecken. Aber ich verharrte wie gelähmt im Schock. Keine Verbindung! So nahe und ich spüre ihn nicht! Ist er tot?
    »Runter mit ihm«, befahl der Mégan.
    Die Männer der Garde stießen Tian grob zu Boden. Er lebte! Er stürzte auf Hände und Knie und stöhnte auf. »Was soll das?«, schrie ich. »Wie behandelt ihr euren eigenen Sohn?« Ich wollte losrennen, aber Tians älterer Bruder sprang auf und hielt mich zurück.
    »Canda, beherrsche dich!« Der Befehl meiner Mutter war scharf wie ein Peitschenhieb.
    Die Labranakos wandten alle peinlich berührt die Blicke ab. Und ich wusste es auch selbst: Noch nie in der Geschichte unserer Familie hatte eine Moreno sich so vergessen. Auf ein Nicken meines Vaters und einen Wink des Mégan trat ein Gardist zu mir. Ein riesiger schwarzhaariger Mann mit einer Narbe, die seine Wange teilte und ein ständiges schiefes Grinsen in sein Gesicht zerrte. »Ihr missachtet das Gericht, Herrin«, sagte er leise. »Zwingt mich nicht dazu, Euch hinausführen zu müssen.«
    Tian rührte sich nicht, nur seine Arme zitterten vor Anstrengung. Seine Stirn berührte fast den Boden, so kraftlos war er. Auch um seine Handgelenke wand sich der traditionelle Hochzeitsschmuck, die roten Korallenschlangen der Familie Labranako. Sie schienen zu schwimmen, aber es

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