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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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war nur mein Tränenschleier. Manja verzog den Mund und wandte so angewidert die Augen ab, als könnte sie den Anblick ihres eigenen Sohnes nicht ertragen. Bisher hatte ich sie bedingungslos geliebt, aber in diesem Moment hasste ich sie.
    »Weiter«, befahl der Mégan ruhig.
    Ein Gardist packte Tian grob am Haar und … riss seinen Kopf zurück!
    Ich presste mir die Hand auf den Mund, so schrecklich war das, was ich dort sah: ein verzerrtes Gesicht, blau und grün geschlagen und völlig verschwollen. Getrocknetes Blut klebte am Kinn, eine alte Narbe am Mund … die Tian nicht hat ! Und braune Augen, angstvoll aufgerissen. Nicht grün, wie die von Tian.
    » Das haben Minas Moreno und die Wächter am Morgen des Hochzeitstages also gesehen«, bemerkte der Mégan. Er blickte auf die Aufzeichnungen, die vor ihm lagen. »Dieser Mann lag anstelle von Tian auf dem Prunkbett, das Gesicht in den Kissen verborgen, betäubt von Schlafmitteln. So wie Tians Brüder und Freunde. Wir sollten also alle getäuscht werden. Und wie gut die Täuschung funktioniert, sehen wir daran, dass sogar Canda auf diese Maskerade hereingefallen ist.«
    Meine Knie gaben nach, zitternd setzte ich mich hin. Ich fühlte mich beschämt und betrogen – von Manja, von den Labranakos, aber auch von den Méganes, die genau wussten, was sie mir zum Zweck der Beweisführung gerade angetan hatten.
    »Sein Name ist Jenn«, erklärte der Gardist mit dem Narbengrinsen. »Niederer aus dem dritten Ring. Er handelt mit Wasser.«
    »Du weißt, warum du hier bist, Jenn?«, fragte der Herrscher.
    Der Junge hatte Angst, aber erstaunlicherweise schien er trotz seiner niedrigen Stellung so etwas wie Stolz zu besitzen, denn er kam schwankend auf die Beine, obwohl es ihm Schmerzen bereitete. Dort, wo Bäche von Schweiß an seiner Brust entlanggelaufen waren, zeigten sich Streifen heller Haut und Sommersprossen. Der Bronzeton war also nur Farbe, vermutlich mit Goldpartikeln durchmischt, die den typischen Sonnenteint der Labranakos vortäuschten.
    »Ja, Höchster Herrscher«, brachte er mühsam und verwaschen heraus. »Mir wird unterstellt, ich sei an einem Verbrechen beteiligt. Das bin ich aber nicht!«
    »Du behauptest, du hast nichts mit Tian Labranakos Verschwinden zu tun?«
    »Ich kenne doch überhaupt keinen Tian! Und wenn mir Eure Garde alle Knochen bricht, ich bin unschuldig. Es war der Kerl im Mantel – er hat mich reingelegt.«
    »Welcher Kerl im Mantel?«
    Trotz allem tat der Junge mir leid. Als er Hilfe suchend zu mir blickte, vermutlich, weil ich die Einzige war, die über seinen Anblick entsetzt gewesen war, schaute ich nicht weg. Aber er und ich wussten, dass seine Chancen, mit heiler Haut davonzukommen, gleich null waren.
    »Ich bin Händler!«, rief Jenn. »Vor zehn Tagen kam einer zu mir, der mir Wasser abkaufte. Er trug einen gelben Mantel mit Kapuze und sagte mir keinen Namen, sein Gesicht hatte er hinter einem Tuch verborgen, aber ich hab trotzdem gesehen, dass er einer aus dem inneren Ring ist. Nach ein paar Tagen kam er wieder. Ich sollte Dinge für ihn einkaufen. Er wollte mir so viel Geld nicht auf dem Markt geben, also habe ich ihm gesagt, wo ich lebe. Dachte, er würde keinen Fuß in die Gegend setzen, aber er kam dorthin. Und er scherte sich nicht darum, in der Unterkunft eines Niederen zu sitzen.«
    »Was solltest du für ihn kaufen?«
    »Alles Mögliche – Decken, ein Mittel gegen Schlangengift, Proviant, vierzig Ellen dünnes Seil und einen weißen Sonnenmantel, wie man ihn für die Wüste braucht.«
    Zum ersten Mal seit meiner grauenhaften Brautnacht war ich erleichtert.Seile für Fesseln? Und unter einem Mantel konnte man einen Entführten verbergen. Es waren Gegenstände für eine Reise, nicht für einen Mord.
    »Und wie bist du dann in das Prunkzimmer gekommen, Jenn?«, wollte der Herrscher wissen.
    Wieder irrte Jenns Blick für einen Moment zu mir, als würde er Halt suchen.
    »Weiß nicht«, murmelte er. »Es war mitten in der Nacht, ich lag schon auf meiner Pritsche. Es klopfte – und kaum hatte ich die Tür aufgemacht, da hatte der Kerl mich schon an der Gurgel. Ich war viel zu überrascht, um mich zu wehren – und ich weiß, welche Strafe darauf steht, einen der Höheren auch nur anzufassen. Der Mantelmann drückte mir ein Messer an die Kehle. Er sagte, ich soll trinken, Wein, das konnte ich riechen, schwerer Wein. Er roch so ähnlich wie der Weihrauch, den man beim Gebet anzündet. Ich hatte Angst, dass es Gift ist, aber er zwang

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