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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Aber so demütigend es war, den Sticheleien dieser alten Harpyie nackt ausgeliefert zu sein, ich blieb beherrscht.
    »Man soll nicht alles glauben, was die Leute sagen. Ich wurde nicht verlassen.«
    »So?« Maram nahm die Ledermappe vom Tisch und klappte sie auf. Papier raschelte. Sie hob ein Formular hoch und las vor: » Nach Rücksprache mit weiteren Zeugen wurde der Fall Tian Labranako amtlich beglaubigt durch die Unterschrift der Méganes ad acta gelegt. Ergebnis der Untersuchungen: Tian Labranako hat die Stadt unehrenhaft heimlich verlassen, um sich der Verbindung mit Canda Moreno zu entziehen. « Beim Blick in mein Gesicht lächelte sie zum ersten Mal wie eine Katze, die eben eine Maus verschluckt hatte. »Lies es selbst, wenn du mir nicht glaubst«, setzte sie mit süffisantem Mitleid hinzu.
    Ich musste mich beherrschen, ihr das Blatt nicht aus der Hand zu reißen. Hastig überflog ich die Zeilen. »Ich muss mit meinen Eltern sprechen.« Meine Stimme echote in der kahlen Kammer.
    Maram lachte – vermutlich zum ersten Mal seit Jahren. Es klang wie Mäusescharren auf Holz. »Wie stellst du dir das vor?«
    »Ich kenne die Gesetze. Niemand kann mir verbieten, Nachrichten aus dem Haus der Verwaisten zu schicken.«
    Maram schnalzte tadelnd mit der Zunge und reichte mir einen Stapel zusammengehefteter Papiere. »Das mag schon sein. Aber Leute wie du haben dieses Recht leider verwirkt.«
    Eben noch hatte ich gefroren, aber jetzt schoss mir eine heiße Welle durch das Zwerchfell. Das, was Maram mir nun in die Hand drückte, war ein Gerichtsurteil. Es roch stechend nach frischem Siegellack und musste in aller Eile erstellt worden sein. Das Datum stammte von heute, die Zeit: vor drei Stunden! Also knapp zwei Stunden, nachdem ich abgeführt worden war.
    In dem Urteil wurde ich für schuldig befunden, mein Talent unehrenhaft verloren zu haben, indem ich die Rituale in meiner Brautnacht falsch ausführte und missachtete. Als Hauptzeugin war Vida aufgeführt. Sie schwor, die vierte Kerze sei beim Ritual durch meine Unachtsamkeit ausgegangen. Und meine Freundinnen bestätigten mit ihrer Unterschrift, dass ich die Zeichnungen auf ihrer Haut zu nachlässig ausgeführt hätte. Der Urteilsspruch, der mich für immer verdammte, war unterschrieben und amtlich beglaubigt. Durch die höchste Richterzweiheit der Metropole Ghan.
    Meine Eltern.
    Das Summen in meinem Kopf schwoll an, Stimmen, die wirr durcheinanderredeten. »Aber das … das sind alles Lügen!«, flüsterte ich.
    »Ja, Schuld schmerzt lange, wie ein Brandmal«, sagte Maram mit funkelnden Augen. »Verständlich, dass du sie nicht wahrhaben willst. Aber es ist ohnehin nicht mehr wichtig. Hier zählen deine Sünden nicht mehr.« Sie nahm mir das Urteil ab, legte es in die Mappe zurück und schlug sie mit Schwung zu. Ein Stück Papier rutschte heraus und blieb an der Kante des Schreibtischs liegen, federleicht, schwebend zwischen Fallen und Halt.
    Maram beugte sich dicht zu mir. Ihr maskenhaftes Gesicht schwebte vor meinem. »Ich würde dir gerne einige Freiheiten lassen. Und wenn du tust, was ich dir sage, wird es nicht nötig sein, dich einzusperren und festzubinden.« So klebrig-freundlich hatte noch keine Drohung geklungen, die ich in meinem Leben gehört hatte. Weg von hier! , zischelten die Stimmen, als läge ich in einem Schlangennest. Sie hat die Schlüssel. Spring ihr ins Gesicht und lauf!
    Offenbar wartete sie auf eine Antwort. Ich konnte nicht halb so gut lügen wie Vida, also wich ich ihrem Harpyienblick aus. Das schwebende Blatt verlor seine Balance und segelte auf den Boden. Ich starrte auf die Kostenaufstellung, die nun zu meinen Füßen lag. Alles war aufgelistet – jährliche Aufwendungen für meine Kleidung, Seife, Wasser, Essen. Ein Sonderposten für Medizin, Schlafmittel für traumlosen Schlaf in sehr hoher Dosierung. Mit Stempel bestätigt für die nächsten … dreißig Jahre. » Die Kosten trägt die Familie Labranako. Nach Ablauf der Garantiefrist Wiedervorlage vor Gericht« , stand dort in der steilen Handschrift meines Vaters.
    Tians Eltern zahlen für mich? Ich verstand überhaupt nichts mehr. Aber unter dem Urteil prangten die Unterschriften – und als Bestätigung … das Siegel der Méganes. Jetzt war es endgültig: Auch die Mégana hatte mich verraten. Ich war vom Himmel gefallen wie ein verglühender Stern. Und ebenso unwiderruflich.
    So ist es also, wenn man nichts mehr zu verlieren hat , dachte ich benommen. Und eine wütende,

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