Der dunkle Kuss der Sterne
deutlicher vor Augen, wie wenig sich mein Begleiter wie ein Diener benahm.
»Und … Amadar? Stammt er auch aus deinem Dorf?«
Die Vorstellung schien sie zu amüsieren. »Oh nein, Herrin!«
»Woher dann?«
»Man sagt, er kommt von weither, einem Land mit weißem kaltem Sand, der sich in der Sonne in Wasser verwandelt. Und er war in einem Krieg. Mehr weiß ich nicht von ihm. Er … spricht nicht viel. Aber die Hunde gehorchen ihm besser als mir. Manche sagen, er kann auch mit anderen Tieren reden – ohne Worte, ohne Befehle, so wie die Weisen sich mit Geistern unterhalten.«
Smila wischte sich die Hände an einem Lappen ab – ihre Haut war durch die Farbe kaum dunkler geworden, und als sie mir nun ihre Hand hinstreckte, musste ich genau hinsehen: Auf ihrem Handteller lag ein blank poliertes Stück dunkler Wurzel an einem dünnen Lederhalsband. Eingefasst war es in eine Kupferplatte.
»Das fehlt noch, Herrin.«
Man erkannte noch ein geschnitztes Löwengesicht, aber Smila musste das Amulett oft in der Hand gehabt haben, denn die Tierfratze war fast ganz abgerieben.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich trage kein Amulett. Das ist Aberglaube.«
Ihre Augen wurden groß. »In der Wüste braucht man doch Schutz, Herrin. Im Sand lauern Geister und sie sind hungrig nach …«
»Es gibt keine Geister.«
Sie zuckte bei dieser Zurechtweisung zusammen und wurde rot. »Ja, Herrin, natürlich habt Ihr recht«, murmelte sie. »Aber … es ist nur … alle Tamrar tragen solche Amulette. Es ist ein Teil unserer Tracht. Wer keines trägt, fällt auf.«
Sie argumentierte geschickt, das musste man ihr lassen.
»Na schön, dann leg es mir an.« Sie atmete auf und band mir das Amulett um.
Dann steckte sie mein Haar hoch und knüpfte den Schal um meinen Kopf in Windeseile so fest, dass kein Härchen mehr darunter hervorschaute. »Und dieses Ende des Tuchs legt Ihr über Nase und Mund, Herrin. So wie ich es mache! Bei einem Sturm könnt Ihr so trotzdem atmen.« Mit gemischten Gefühlen machte ich es ihr nach, bis bei mir auch nur noch die Augen zwischen hellem Stoff hervorschauten. Ich war überrascht, wie wohl es mir tat, mein Gesicht wieder verbergen zu dürfen. Trotz Smilas Verschleierung konnte ich erkennen, dass sie ein flüchtiges Lächeln wagte, und ihre blitzenden Augen zeigten einen diebischen Stolz über meine Verwandlung, der mich erschreckte.
*
Hier im vierten Ring war der Himmel wieder nah, kaum ein Gebäude war höher als ein Stockwerk. Die meisten Häuser bestanden aus baufälligem Material, das von den Schutthalden der anderen Bezirke stammte. Nur die Prachtstraße aus Marmor, die vom dritten zum vierten Tor führte, glänzte im Mondlicht. Diener lebten direkt neben der Straße in kleinen Zelten, bereit, jederzeit dafür zu sorgen, dass jeder Hohe, der die Stadt verlassen wollte, über blank gefegten polierten Marmor schritt.
Unser Weg führte allerdings ganz woandershin: In das »Blutviertel«. Von dort stammte das Fleisch für die inneren Bezirke, die Herden der Nomaden wurden direkt dorthin getrieben. Und auch die Beute von den Jagdzügen der Hohen wurde dort zerteilt und gehäutet. An der Straße lagen abgenagte Knochen. Der Geruch nach fauligem Fleisch machte mir das Atmen schwer.
Der von einem Esel gezogene Holzkarren, auf dessen Ladefläche ich mit Amadar und fünf Hunden saß, rumpelte über Straßen, die eher Trampelpfaden glichen. Schäbige Zelte von Saisonarbeitern waren halb unter angewehtem Sand begraben, streunende Hunde folgten neugierig unserem Karren. Bei jedem Schlagloch wurde die graue Hündin, die Smila neben mich gesetzt hatte, gegen meine Schulter geworfen. Links von mir gluckerte Wasser in zwei großen Trinkbeuteln mit Trageriemen. Amadar hatte außerdem Waffen dabei. Ein Kurzgewehr und ein säbelartiges, gebogenes Messer, das er am Gürtel trug.
»Wir gehen durch das Schandtor, nicht wahr?«, flüsterte ich. Er antwortete nicht. Nur die alte Hündin wandte den Kopf. Im Mondlicht waren ihre Augen blassgolden leuchtende Scheiben.
Amadar stoppte den Karren in Sichtweite des schmalsten Tores. Es war kaum breiter als ein Mann – und am leichtesten zu verschließen: Über dieser Lücke in der Stadtmauer war zwischen Stahlschienen ein Felsquader als Sperrblock aufgehängt. Der Wächter konnte den Mechanismus betätigen, der den Block löste und den Eingang fest verschloss.
»Du wartest hier mit den Hunden«, flüsterte mir Amad zu. »Und wenn du zum Tor kommst, lass dir kein Hinken
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