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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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hat dich das noch nie gekümmert, warum also jetzt?«
    Immerhin lenkte mein Zorn auf ihn mich von der Müdigkeit ab. »Woher willst du wissen, dass Tian hier entlanggegangen ist?«
    Er blitzte mir über die Schulter ein wölfisches Jägerlächeln zu, das mir einen Schauer über den Rücken jagte. »Ich wittere es. Kaltes Blut, kaltes Herz, eine blaue Spur in der Hitze. Oder zeigt dir eure untrennbare Verbindung einen anderen Weg? Ich lasse mich gern führen, wenn du es besser kannst!«
    Ich stellte mir vor, wie ich meine Faust ballte und in das arrogante Gesicht schlug. Aber ich hatte kaum noch Kraft, mich auf den Beinen zu halten.
    »Mach den Umweg, wenn du willst«, rief Amadar über den Graben von Gebeinen und Erinnerungen. »Aber halte den Dolch bereit, denn jenseits der Grabfelder wirst du eher auf Löwen und menschliche Raubtiere treffen als hier. Aber wenn du es schaffst, treffen wir uns nordöstlich am nächsten Wasserlager – falls du schnell genug bist. Wie du die Himmelsrichtung anhand der Sonne und der Dünen findest, hast du ja sicher aus deinen Büchern gelernt.«
    Er setzte seinen Weg fort.
    »He! Dein Leben hängt davon ab, dass du mich nicht aus den Augen lässt!«
    »Überschätze nicht, wie wichtig mir mein Leben ist«, rief er, ohne sich auch nur umzudrehen.
    Das Schlimme war: Ich glaubte ihm. Er würde mich tatsächlich allein zurücklassen. Und zu allem Überfluss ließ mich die graue Hündin, das einzige Wesen, das seit meiner Flucht freundlich zu mir gewesen war, im Stich und trabte Amadar hinterher.
    »Das wirst du bereuen«, presste ich verzweifelt zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Dafür wird dich die Mégana töten!« Aber er hörte es längst nicht mehr.
    Ich erinnere mich kaum, wie ich es schaffte, Schritt für Schritt vorwärtszugehen, krampfhaft bemüht, zwischen den Knochen über die Sandinseln zu balancieren. Mehr als hundert Jahre waren sie alt, zusammengetragen auf diesem Grabfeld nach der letzten großen Schlacht um unsere Stadt, dem großen Chaos. Bei jedem Schritt entschuldigte ich mich flüsternd für den Frevel. Ein halber Schädel war mit einem glatten Hieb gespalten worden, vielleicht hatte er einem Urahnen von mir gehört. Sieh uns an, Tochter , schienen die Toten zu wispern.
    Im Sand der zermahlenen Knochen lagen auch Speerspitzen und zerbrochene, stumpfe Splitter, vielleicht von Klingen. Eine verwitterte Pfeilspitze fiel mir auf. Ich blieb stehen und hob das Relikt auf. Erstaunlich glattes Material, kein Stein, und seltsamerweise schien es kühler zu sein als die Umgebung. Etwas zitterte in meinem Inneren bei dieser Berührung. Ich musste schlucken, so schwer wurde mir ums Herz, eine Trauer, so tief und groß, als käme sie nicht nur aus meinem Inneren allein.
    »Was ist jetzt?« Amadar war stehen geblieben. Der Wind verwirbelte sein Haar und ließ seinen Sonnenmantel flattern. Vor dem gleißenden Himmel wirkte er wie ein Krieger, auferstanden vom Schlachtfeld.
    Ich biss die Zähne zusammen und richtete mich auf, doch dann, kurz vor einer Anhöhe, verließ mich jede Kraft, ich stolperte und fiel auf Hände und Knie. Meine Hündin bellte und trabte zu mir zurück. Und obwohl ich wütend auf sie sein wollte, umarmte ich sie und drückte mein Gesicht in ihr Fell. Amadar stöhnte auf, dann kam auch er zu mir. Keine Spur von Müdigkeit war in seinen Bewegungen. Er streckte mir die Hand hin, um mich hochzuziehen, aber ich ignorierte sie.
    »Wie weit ist es noch bis zur Station?«
    »Tja, wenn ich allein unterwegs wäre, wären wir längst da. In deinem Tempo schaffen wir es im besten Fall vor Mitternacht.«
    Noch mindestens zwei Stunden! Mein Körper gab endgültig nach und ich sackte zu Boden. Die Hündin leckte mir über die Hände. Amadar ging vor mir in die Hocke.
    »Noch können wir umkehren. Du weißt es ebenso gut wie ich: Tian ist uns so weit voraus, dass wir ihn kaum noch einholen werden. Zumindest nicht mit einer fußlahmen Stadtprinzessin, die noch nie in ihrem Leben weiter marschiert ist als vier Marmorgänge bis zum nächsten Tanzsaal.«
    Das ist also dein Plan? , dachte ich nur. Mich zu hetzen wie ein Stück Wild, bis ich aufgebe und winselnd zurück nach Hause krieche?
    »Eine Moreno gibt niemals auf!« Ich wünschte, ich hätte nicht so kläglich geklungen.
    Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und fuhr sich mit einer Hand ungeduldig durch das Haar. »Für die Moreno bist du doch längst schon so tot wie diese Knochen.«
    »Das ist nicht

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