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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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pfiff.
    Amadar wandte sich nach Osten und löste die Leinen seiner Tiere. »Beeilen wir uns. Solange es noch kühl ist, schaffen wir größere Strecken.« Die Hunde schnellten in die Richtung, die er ihnen wies, davon, helle Schemen, die mit den Sandwirbeln tanzten.
    Ich zögerte trotzdem. In der Ferne färbte ein erster Schein von Morgenrot den Sand. Sehnsucht schnürte mir die Kehle zu, als ich mit meinem ganzen Herzen nach Tian tastete, versuchte, eine Schwingung aufzufangen, eine Ahnung, wohin er gegangen war. Vergeblich. So niederschmetternd es war: Die Mégana hatte recht. Zumindest im Augenblick brauchte ich ihren Sucher tatsächlich, um Tians Spur zu finden.
    Umzudrehen wagte ich mich nicht mehr, also nahm ich das Amulett und drehte die spiegelnde Seite zu mir. In dem winzigen Kupferspiegel erinnerten die Zentrumstürme hinter mir an ein Bündel glänzender Pfeile, die aufrecht in den Sand gesteckt worden waren. Die Toten waren nur noch winzige Vogelscheuchen. Der Wind spielte mit den Sandwirbeln und meinen Ängsten, denn für einen Augenblick bildete ich mir ein, zwei Schatten zu sehen, die sich von den Pfählen lösten und an meine Fersen hefteten.
    *
    Ich war aufgewachsen mit der Überzeugung, ein Teil der Wüste zu sein und sie zu lieben. Auf Familienfesten hatten wir Morenos die Heldentaten unserer Vorfahren und ihr Leben unter dem Sternenhimmel besungen. Aber offenbar war ich nur die erbärmliche Karikatur einer Moreno, denn schon eine Stunde nach Sonnenaufgang brachten mich die Hitze und das endlose flimmernde Gelb zum Verzweifeln. Jeder Atemzug fühlte sich an, als würde ich mit dem Kopf in einem Ofen stecken. In der Hitze verschmolzen Sand und Himmel zu einer flimmernden Fläche. Mehr als einmal musste ich auf allen vieren kriechen, um eine steile Düne überhaupt zu bewältigen. Schlangenspuren säumten wie Sandschmuck die Dünenkämme, weiße Spinnen und langbeinige Käfer huschten über losen Sand.
    Die alte Hündin, die ich von der Leine gelassen hatte, blieb bei mir und sah sich alle paar Schritte nach mir um. Ich klammerte mich an diesen Blick, um nicht vor Angst alle Kraft zu verlieren. Meine Füße waren wund, die Bandage scheuerte, die Lippen wurden trocken und sprangen auf. Amadar hatte nicht gelogen: Die Wüste schälte alle Sicherheiten von mir ab, bis ich nackt und verletzlich zurückblieb.
    Wir rasteten nur wenige Minuten im Schatten einiger Dornenbüsche. Ich aß Trockenobst und trank von dem Wasser, das heißer war als mein ausgedörrter Mund. Mein Gesicht brannte trotz der schützenden Tücher, die Helligkeit versengte meine Augen, bis ich fast blind war. Mehr als einmal fiel ich hin und wäre am liebsten nie wieder aufgestanden, aber der Gedanke an Tian brachte mich wieder auf die Beine. Zumindest war ich ihm nun näher als in den letzten Tagen. Hier war er ebenfalls gelaufen, ebenso verzweifelt und getrennt von allem, was er liebte.
    Und außerdem – ich wäre lieber vor Erschöpfung gestorben, als vor Amadar aufzugeben.
    *
    Als der Himmel sich am Horizont hellorange färbte, kamen die ersten flachen Erhebungen in Sicht: Vorläufer der Berge, die sich immer noch in unendlicher Ferne abzeichneten. Geröll mischte sich mit Sand, verkrüppelte Tamariskenbäumchen klammerten sich zwischen blank gefegten Felsplatten fest.
    Kleine Steine und trockene Zweige drückten sich durch meine dünnen Ledersohlen. Aber erst als unter meinem Fuß etwas knackte und ich mir den vermeintlichen Zweig genauer ansah, ahnte ich, wo wir waren. Ich taumelte zurück – nur um auf einen weiteren morschen Knochen zu treten, der unter meinem Gewicht brach. Vor mir lag ein zerbrochener Unterkiefer, mit Zähnen, abgeschliffen von Wind und Sand, abgerundete Knochensplitter ragten aus dem Sand, porös und weiß gebleicht vom Alter.
    »He!« Mein entsetzter Ruf ließ Amadar innehalten. »Das sind die Sandgräber von den alten Schlachtfeldern!«
    Amadar drehte sich um. »Und?«
    »Wir müssen einen Bogen darum machen!«
    »Und Zeit verlieren? Wir sind ohnehin schon zu langsam.« Er ging weiter.
    »Halt!«
    »Ausgerechnet du hast Angst vor ein paar alten Knochen?«, spottete er. »Ich dachte, euereins ist so stolz darauf, nicht abergläubisch zu sein?«
    »Es ist eine Gedenkstätte! Wo du herkommst, mag es anders sein, aber wir treten das Andenken an unsere Ahnen nicht mit Füßen!«
    »So? Deinen Liebsten hat es nicht gestört, über Leichen zu gehen! Und eure Stadt ist auf den Knochen eurer Feinde erbaut. Bisher

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