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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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noch fröstelte, als würde sich etwas in mir gegen seine Nähe sträuben. Verstohlen betrachtete ich ihn oft von der Seite. Eine Moreno muss ihre Feinde kennen , redete ich mir ein. Aber es war nicht die ganze Wahrheit. Seit ich ahnte, dass auch Amad ein Herz hatte, das um jemanden bangte, fielen mir Dinge an ihm auf, die mich auf seltsame Weise berührten: die Art, wie er seinem Pferd im Vorbeigehen nur scheinbar beiläufig mit den Fingern durch die Mähne fuhr. Die Tatsache, dass er meine Graue an einem scharfkantigen Felsspalt auf die Arme nahm und sie sicher über das nächste Messerfeld trug. Und obwohl er dabei fluchte und mir an den Kopf warf, dass wir ohne sie schneller wären, entging mir nicht, dass er beinahe lächelte, als sie ihm über die Wange leckte.
    In solchen Momenten tastete ich nach dem Ring. Er war schwarz und glatt, wie der Dolch. Feine Silberintarsien in Form von drei Wellenlinien waren darin eingearbeitet. Ich versuchte mir das Mädchen, dem er gehörte, vorzustellen. War Amad wegen ihr im Konferenzraum gewesen? Sicher war sie eine Geisel, eine Gefangene der Mégan. In meiner Fantasie war sie zierlich und hübsch – mit verzweifelten Augen, vielleicht so blau wie die ihres Geliebten. Und seltsamerweise glaubte ich, dass sie eine schöne Stimme hatte und mit ihrem Gesang alle Herzen gewann.
    *
    Am vierten Tag erreichten wir eine Ebene, die wie eine breite Straße zwischen steilen Felswänden nach Süden führte. Immer noch suchte ich nach Hinweisen und Spuren – einer Feuerstelle, Resten eines Lagers – Zeichen, die Tian an die Wände gekratzt oder geschrieben hatte, aber die Landschaft wirkte so unberührt, als wären wir die ersten Menschen. »Ab hier können wir wieder reiten.« Amads Worte hallten von dem rosenfarbenen Stein wider. »Schau lieber nicht nach oben, wenn du ruhig schlafen willst.« Natürlich hob ich den Blick und wünschte sofort, ich hätte es nicht getan. An den oberen Kanten der Felsschluchten türmten sich Felsbrocken und Steine. Bizarre Formationen, die zum Teil nur auf schmalen Felsspitzen ruhten, als könnte schon ein Windhauch sie aus der Balance bringen. »Bist du sicher, dass das der richtige Weg ist?«
    Amads Augen blitzten spöttisch auf. »Hast du etwa Angst? Wir müssen nur schnell genug sein. Was aber vermutlich auch nichts nützt, falls jemand plant, uns mit Felsbrocken zu erschlagen.«
    »Sehr witzig!«
    Amad griff in die Mähne seines Pferdes und zog sich mühelos auf dessen Rücken. Es war mir immer noch ein Rätsel, wie er es ohne Zaum lenkte und dazu brachte, ihm zu gehorchen. Meines versuchte mich jedes Mal wieder an den Felswänden abzustreifen. »Es hilft außerdem, sich ganz am Rand des Weges zu halten«, rief Amad mir über die Schulter zu. »Die Felskante hat einen Überhang, wenn Steine herunterkommen, verfehlen sie dich.«
    Eine Herde von unsichtbaren Pferden schien uns zu begleiten, als mit dem ersten Galoppschlag die Echos erwachten. Ab und zu prasselten kleine Steine an den Schluchtwänden herunter und ich krallte mich fester in die Mähne, drückte mich an die Graue und betete zu allen Weisen mathematischer Wahrscheinlichkeitsrechnungen, dass das Echo keine Felslawine auslöste.
    *
    Wenn jemand vor uns diesen Weg genommen hatte, hatte er seine Spuren auch hier gut verwischt. Ich fand keine Zeichen, dafür lernte ich in diesen Tagen, wie man aus Gestrüpp und kargem Buschholz ein Feuer entfachte und die Echsen häutete, die die Graue jagte. Wir rösteten die Reptilien über der Glut, im Ohr die Schreie der Falken, die über uns kreisten, die scharfen Augen auf unsere Beute gerichtet. Nachts lagerten wir unter Felsvorsprüngen.
    In den klimatisierten Räumen der Stadt, in der Sicherheit von Bibliotheken und Schulzimmern war es so einfach gewesen, über Ängste erhaben zu sein. Aber jetzt erschreckte mich auch das kleinste Geräusch. Manchmal knurrte meine Hündin in die Dunkelheit, ohne dass ich wusste, warum. Dann verkroch ich mich tief unter den Sonnenmantel und umklammerte den Dolch. Aber er bewahrte mich nicht vor den Schatten und dem Klagegesang, den der Wind den Felsharfen weit über uns entlockte. In meinem Kopf verschmolzen die Laute mit den Figuren aus der Höhle, sterbende Menschen auf dem Schlachtfeld, die ihren letzten Schmerz hinausheulten. Die Einzigen, die schwiegen, waren die gefesselten Kriegerinnen, darunter meine Ahnin, die kniend ihre Hinrichtung erwartete. Immer noch suchte ich in meinem Gedächtnis nach Fragmenten

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