Der dunkle Kuss der Sterne
spinnwebenfeine Band, das zwischen Amad und mir entstanden war. Brüsk wandte Amad sich ab und schnallte eine Decke vom Sattel. Plötzlich war er wieder der abweisende Sucher. »Wenn wir noch mehr Zeit verlieren, holen uns die Brüder mit einem gemütlichen Spaziergang ein. Um den Hund musst du dich selbst kümmern. Ich helfe Dieben nicht dabei, ihre Beute wegzuschleppen.«
Ich atmete durch, um mein rasendes Herz zur Ruhe zu bringen. »Ich bin also eine Diebin? Und die Pferde hast du ehrlich ertauscht?« Es gelang mir immerhin, spöttisch zu klingen.
Amad ging zu meinem Pferd, verschob Gurte und Gepäck und zurrte die Decke fest, bis eine Art zweiter Sattel entstand, auf dem die Hündin genug Halt finden würde. »Ich wollte nur, dass die Hirten uns nicht verfolgen können. Sonst hätte ich mich möglicherweise noch um dich prügeln müssen. Die Pferde werden bald dorthin zurücklaufen, wo sie Wasser bekommen. Tja, wie du in den Sattel kommst, weißt du. Jetzt musst du nur noch lernen, dich im Galopp auf dem Pferderücken zu halten.«
»Was ist, wenn ich falle?«
Amad hielt inne und senkte den Kopf. Als er tief ausatmete, sanken seine Schultern herab, als würde eine viel zu schwere Last auf ihnen ruhen. Gedankenverloren strich er dem Pferd über den Hals, eine freundliche Geste, die nicht zu seiner Härte passte. Natürlich verstand er, was meine Frage bedeutete. Sind wir Gefährten? Reden wir von nun an miteinander? Hassen wir einander nicht mehr?
Aber er schwieg und wandte mir weiter den Rücken zu. Feigling , dachte ich grimmig. Heute reichst du mir die Hand, warnst mich vor der Mégana, und morgen bist du wieder der Bluthund, der mich verachtet? Seltsamerweise war ich diesmal nicht wütend oder gekränkt. Nur so enttäuscht, dass mir die Tränen in die Augen stiegen.
Doch jetzt war er es, der mich überraschte. Langsam drehte er sich zu mir um. »Wenn du fällst«, antwortete er mit einer Aufrichtigkeit, die mich völlig entwaffnete, »fange ich dich auf.«
Tian hatte mir oft mit leuchtenden Augen erzählt, dass Reiten wie Fliegen sei. Aber in Wirklichkeit fühlte es sich an, wie auf einer Gerölllawine rasend schnell talabwärts zu rutschen, ohne Halt und ohne jede Chance, das Gleichgewicht zu halten. Die Graue hielt sich auf dem Pferderücken besser als ich. Meine Beine schmerzten und die Innenseiten meiner Knie scheuerten sich am hölzernen Sattel wund. Aber ich biss die Zähne zusammen und stand aufrecht wie Amad in den Holzbügeln, während die Pferde vorwärtsstürmten, ohne müde zu werden. Längst zog die Landschaft nur noch wie ein Fiebertraum an mir vorbei. Sand und Geröllhügel wurden zu Stein und Granitklippen und nach einem weiteren Tag jagten wir an den ersten Ausläufern des südwestlichen Berggürtels bergauf. Sobald der Weg zu steil zum Reiten wurde, stiegen wir ab und Amad ließ die Pferde vorauslaufen. Ich staunte, dass sie wie Ziegen klettern konnten. Für uns war es, als müssten wir über ein Feld aus Messern balancieren. Der Fels hatte zwar die zarte Pastellfarbe von hellen Rosen, aber er war hart, an vielen Stellen gebrochen, als hätten Blitze den Berg gespalten und glasscharfe Bruchkanten und Spitzen hinterlassen. Wenn wir ein solches Splitterfeld hinter uns gebracht hatten, hielt ich nach Luft ringend inne und blickte über die Schulter zurück in den Abgrund: Weit unter uns erstreckte sich die Wüste. Mein ganzes Leben lang hatte ich sie durch Fenster betrachtet. Aber noch nie hatte ich sie so gesehen wie jetzt: ein goldenes Land, dessen Schönheit ich zum ersten Mal mit dem Herzen spürte. Meine Spuren waren längst verweht, aber ein Teil von mir war immer noch dort unten, fühlte den Knochensand unter den Füßen, schmeckte den Wind und die Gefahr und las die vergängliche Schrift, die Schlangen und Wüstenkäfer auf den Dünen hinterließen.
Seltsamerweise fiel mir in diesen Tagen nicht auf, dass der Horizont leer war und meine Stadt sich nicht als Silhouette in der Ferne erhob.
*
Trotz allem war es ein angespannter Friede, den Amad und ich geschlossen hatten. Vor allem mir fiel es nicht leicht. Zum ersten Mal in meinem Leben gab es kein Oben und Unten, kein sicheres Wegenetz aus Gesetzen und Konventionen. Wenn ich Worte finden wollte, bewegte ich mich im Niemandsland, also schwieg ich lieber und auch Amad hielt Abstand. Aber wenn der Weg mir zu steil wurde, holte er zu mir auf und streckte mir die Hand hin. Und ich ergriff sie, obwohl ich bei seiner Berührung immer
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