Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
mir?
    Amad musterte mich so beunruhigt, als würde er überlegen, ob ich nun endgültig den Verstand verlor. »Hier ist niemand außer uns.« Er berührte vorsichtig meinen Arm, als wollte er mich vor einem Fall bewahren – oder aus einem Traum wecken. »Canda, ist wirklich nichts passiert? Du zitterst ja!«
    Beinahe hätte ich aus Verzweiflung gelacht. »Was soll passiert sein? Ich verliere nur den Verstand!« Ich wollte mich abwenden, aber ich konnte nicht – Amad hielt mein Handgelenk umfasst, nicht grob oder fest, sondern so behutsam, dass es fast eine Liebkosung war.
    »So schlimm geträumt, dass du immer noch mit einem Fuß in der anderen Welt bist?« Die Sanftheit, mit er nun sprach, brachte mich endgültig aus der Balance.
    »Ich weiß nicht«, flüsterte ich. »Es ist ja keine andere Welt. Träume bedeuten überhaupt nichts, aber dieser …« Das Zittern erfasste mich ganz, ohne dass ich es verhindern konnte. Meine Knie gaben nach – und dann lagen Amads Arme um mich, bewahrten mich davor, auch den letzten Halt zu verlieren.
    Ein Teil von mir schrie danach, mich sofort loszumachen und so weit zu laufen, wie ich konnte. Aber es gab einen anderen Teil, der verharrte. Wie in Trance spürte ich Amads Nähe nach, die mein Herz zum Stolpern brachte, suchte die Wärme seines Körpers, den Duft seiner Haut, fremd und doch auf beunruhigende Weise vertraut.
    »Niemand wird verrückt, nur weil er träumt«, sagte Amad.
    »Ich offenbar schon!«, gab ich leise zurück.
    Diesmal konnte ich sein Lächeln fast spüren, gefangen in seinem Atemhauch an meiner Schläfe. »Alle Menschen träumen und das hat nichts mit Wahnsinn zu tun. Ich verspreche es dir!«
    Zumindest mussten Träume sehr verletzlich machen, denn ich schloss die Augen und vergrub mein Gesicht an seiner Schulter. Und noch etwas Seltsames geschah: Obwohl Amad mich in die Arme genommen hatte, zuckte er nun ein wenig zurück. Aber dann, so zögernd, als würde er sich selbst nicht ganz trauen, schloss er vorsichtig seine Arme fester um mich, zog mich an sich, so dicht, dass ich seinen Herzschlag spüren konnte. Mir wurde schwindelig, als er mir über das Haar strich, mit einer Sanftheit, die ich nicht an ihm kannte. Es war nur ein Moment, aber zum ersten Mal seit Ewigkeiten fühlte ich mich tatsächlich in Sicherheit. Was oder wen ich mir auch immer eingebildet hatte – es war fort, als hätte Amad es aus meiner Nähe vertrieben. Seine Fingerspitzen strichen über meinen Nacken und lösten einen Funkenschauer aus Empfindungen aus, ganz anders, als ich es von Tians Berührungen kannte …
    Tian! Das brachte mich in die Wirklichkeit zurück. Bei allen Sternen, was tust du da? Ich riss mich los und brachte ein paar Schritte zwischen uns. Hastig wischte ich mir mit dem Handrücken die Tränen vom Gesicht. Ein paar Sekunden standen wir einander nur gegenüber, atemlos wie zwei Fremde, die etwas Verbotenes geteilt hatten. Amad fing sich als Erster. »Du solltest lieber Angst vor Steinschlag und Fallen haben als vor Albträumen«, sagte er mit belegter Stimme. Er ging mit großen Schritten an mir vorbei und ließ sich neben dem toten Feuer nieder. »Wir sollten noch etwas schlafen. Morgen verlassen wir den Schluchtenweg und reiten talabwärts.«
    Es klang so bemüht sachlich, als wollte er wieder einen Abstand zwischen uns bringen.
    Mit weichen Knien ließ ich mich auf dem Felsen nieder. Verwirrt und auf eine andere Art zittrig schlang ich die Arme um meine Beine. Immer noch hallten die Empfindungen in mir nach, und gleichzeitig schämte ich mich unendlich dafür, wenn ich an Tian dachte. Ich musste verrückt sein, einen anderen Mann zu umarmen. Und noch verrückter, weil mein Körper immer noch darauf reagierte, immer noch Amads Arme spürte, seinen Herzschlag und den Funkenflug der fremden Haut. Sei vernünftig!, schalt ich mich. Du bist nur verwirrt und schwach.
    »Träumst du auch?«, fragte ich. »Ich meine … Albträume?«
    Amad streckte sich aus und schob sich den Rucksack unter den Kopf.
    »Jede einzelne Nacht. Sobald ich die Augen schließe. Und oft genug sogar mit offenen Augen.« Mit seinem Spott konnte ich inzwischen umgehen, mit seiner Aufrichtigkeit nicht. Und auch nicht mit dem Dunklen, Ungesagten, das in seiner Antwort mitschwang. Auch wenn wir so taten, als sei nichts geschehen: Die Nähe verband uns immer noch, hob die Unterschiede auf, machte uns einfach nur zu zwei Menschen unter einem Sternenhimmel. Trotzdem wagte ich nicht zu fragen, wen er

Weitere Kostenlose Bücher