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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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der Kreideberge führt. Und von dort reiten wir in die Wälder.«
    Amad verlagerte nur ein wenig sein Gewicht und sein Pferd trabte los. Als ob er vor mir wegläuft , dachte ich grimmig. Nun, so einfach würde ich es ihm nicht machen. Aber es war wie verhext: Mein Pferd gehorchte mir nicht, als würde es einem anderen stummen Befehl gehorchen. Es stellte sich stur und wich nach links aus – dorthin, wo eben noch Amad an meiner Seite geritten war. Dornige Äste streiften mein Knie, Gestrüpp, das sich an einen mannshohen Findling klammerte. Ich wollte das Tier schon verärgert antreiben, als ich stutzte. Plötzlich war mein Mund noch trockener und meine Hände krampften sich um die Zügel.
    Auf den ersten Blick hätte man die schimmernden Fäden für ein Bündel von Spinnweben in den Zweigen halten können, aber ich begriff sofort, dass ich nicht die Einzige war, die sich geweigert hatte, sich das lange Haar für einen Wüstenmarsch abzuschneiden. Also doch? , schoss es mir durch den Kopf. Die Frau gehört zu den Entführern?
    Wie hatte der Alte die Reisende beschrieben? Strahlend wie die Sonne selbst . Fast konnte ich sie sehen wie eine flirrende Fata Morgana in der heißen Luft: eine Schönheit mit weißer Lilienhaut und, wie ich jetzt wusste, lichtblondem Haar. Lachend ritt sie hier vorbei, auf dem Pferd, das die Hirtenbrüder ihr überlassen hatten, der Wind spielte mit den Strähnen; eine streifte die Zweige. Aber nein, das Bild des Zufalls stimmte nicht: Die Strähne war um einen abgebrochenen Zweig geknotet worden – zusammen mit einer kürzeren Locke von ganz anderer Farbe. Kupferrot! Ganz von selbst entfachte sich das Lächeln in meinem Gesicht, schoss das Blut in meine Wangen. Meine Fingerspitzen kribbelten, als ich das Ästchen aus dem Gestrüpp fischte. Die Berührung von Tians Haar weckte in mir ein Echo, dann überspülte die Vertrautheit jäh jeden Teil von mir, verband mich mit dem zweiten Teil meiner Seele. Das rote, pulsierende Glühen füllte mich aus und brachte mich zum Strahlen, durchströmte mich wie eine Welle aus Lava, die nicht verbrannte, nur wärmte. Erst jetzt spürte ich, wie leer ich gewesen war. Der Wind wurde zu Tians Umarmung, seinem Duft nach Meer und Weite, zu seiner Stimme, die mir ins Ohr raunte. Folge mir, mein Stern! Als ich die Augen schloss, stand mein Geliebter vor mir: geschunden und schwach, aber immer noch entschlossen genug, um mir eine Nachricht zu hinterlassen, eine Spur aus Gold und Kupfer, die mir sagte, wohin seine Entführer ihn brachten. Die Entführer, zu denen ein blondes Mädchen mit lilienweißer Haut gehört.
    *
    Meine Wangen waren heiß, mein Herz raste immer noch, als ich zu Amad aufgeholt hatte. Den Zweig barg ich in meiner Hand. Ich wagte nicht, Amad anzusehen, aus Angst, mich zu verraten, als würde ich noch von einem verbotenen Kuss glühen. Aber nach einer Weile befühlte ich verstohlen den Fund. Das blonde Haar hatte eine ganz andere Struktur als das von Tian. Es war fein und so glatt, dass der Haarknoten fast von selbst aufging.
    Die Pferde legten die Ohren an und duckten sich vor dem Wind, der immer stärker wurde. Amad beobachtete die Staubwirbel, bizarre Tänzerinnen, die der Wind über die schräge Ebene wehte. Links trudelte ein Falke in einem Fallwind über der Schlucht und fing sich nur mit Mühe wieder. Noch bevor ich Amad fluchen hörte, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Ich streifte das Haar vom Zweig, ließ das Stückchen Holz hastig fallen und wollte meinen Fund einstecken. Aber dazu kam ich nicht mehr. Eine Windfaust beförderte mich fast aus dem Sattel. Mein Pferd machte einen Satz, warf den Kopf panisch hoch und zerrte an den Zügeln. Die Graue prallte gegen mich und sprang – und das Haarbündel rutschte aus meiner Hand. Gold- und Kupferfäden vermischten sich mit flatterndem Mähnenhaar und trudelten einzeln in der Luft davon.
    Die Pferde tänzelten, gingen seitwärts. Mühsam rang ich nach Luft und bekam keine. Noch nie hatte ich einen solchen seltsamen Sturm erlebt. Als hätte sich alles umgekehrt, sogen Windwirbel alle Luft aus meiner Lunge, der Druck in meinen Ohren wurde unerträglich und ließ mich alles nur noch wie durch Watte hören. Amad packte meine Zügel, zwang beide Pferde umzukehren und trieb sie zurück in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Knie an Knie preschten wir dahin. Mähnenhaar schnitt in meine Finger. Nur aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie Amad den Rucksack nach vorne riss und etwas

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