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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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war. »Manchmal ist das, was man sieht, nicht die einzige Wirklichkeit«, murmelte er dann.
    Das kann nicht sein . Ich falle noch. Ich träume.
    Andererseits: Die Kühle in diesem Raum war sehr real, und auch der Berg von … Fischernetzen ? Blinzelnd sah ich mich um. Vor langer Zeit war der Raum sicher ein Festsaal gewesen, aus den Wänden ragten verrostete Halterungen für unzählige Kerzenleuchter. Aber heute wurde er wohl nur noch als Lagerraum genutzt. In der Ecke reihten sich Taschen und Rucksäcke und an der Wand lehnten Waffen – Stöcke mit Spitzen und Widerhaken am oberen Ende.
    Der Boden schien unter mir zu schwanken, als ich vom Netzberg kroch. »Setz dich lieber wieder hin und atme erst einmal durch«, sagte Amad besorgt. Er wollte mich am Arm fassen, aber ich wehrte ihn mit einem groben Schlag ab und kam auf die Beine. »Du sagst mir nie wieder, was ich zu tun habe!«, stieß ich hervor. »Du verfluchter Lügner! Du hast mich einfach losgelassen!«
    Er nickte ernst. »Manchmal muss man jemanden fallen lassen, um ihn aufzufangen.«
    »Soll ich jetzt lachen?«
    Er schluckte schwer und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er mit dem Anflug von Sanftheit, der die Nacht wieder zu mir brachte. »Wir hatten nur keine Sekunde länger Zeit, und ich wollte, dass du als Erste fällst. Der Netzberg hätte dich allein weicher aufgefangen als mit meinem Gewicht. Wir hatten Glück, dass er höher war, als er von oben aussah, aber wir hätten uns zusammen das Genick brechen können.«
    Ich machte ein paar schwankende Schritte und streckte die Hand nach einer der langen Hakenstangen aus, die sich an der Wand reihten. Aus irgendeinem Grund musste ich mich vergewissern, dass sie real waren.
    »Finger weg!«, donnerte eine raue, sehr dunkle Stimme. Ich zuckte zurück. Ein Kerl mit schwarzem Bart und ebenso buschigen Brauen kam mit großen Schritten auf uns zu. Er trug eine abgeschabte und an den Taschen ausgebeulte Weste und Hosen aus verschlissenem Leder. Im Gehen entsicherte er ein Schrotgewehr und riss es hoch. »Weg von unseren Harpunen, ihr Diebe, na los!«
    Ich musste noch im Schock sein, die Zeit rutschte mir wieder weg. Ich erinnerte mich nicht daran, dass Amad einen Schritt vor mich gemacht hatte. Aber nun stand er mit dem Rücken zu mir. Der Rucksack mit den Waffen lag irgendwo im Raum, aber sein Revolver steckte hinten in seinem Gürtel. Der Bärtige blieb vor uns stehen. Scharfer Tabakgeruch strömte von ihm aus. »Was habt ihr hier zu suchen!«
    Ich hätte Angst haben sollen, aber es war, als hätte ich dieses Gefühl bei meinem Sturz verloren. Mir war nur schwindelig und ich hörte alles wie durch Watte. Immer noch schien der Abgrund unter mir zu klaffen, sah ich mein Pferd fallen, fühlte den Sog, der mich nach unten riss.
    »Ich bin Amad. Und das ist meine Schwester. Sie … spricht nicht viel. Wir kommen aus Tamrar, Wüstengebiet. Dort herrscht Dürre, unser ganzes Vieh ist verdurstet, es gibt für Monate kein Wasser für Mensch und Tier. Deshalb mussten wir das Dorf verlassen und sind unterwegs nach Süden. Wir wollen es als Saisonarbeiter in den Perlfabriken versuchen.«
    »Da seid ihr aber genau auf dem falschen Weg.« Hinter dem Bärtigen kamen noch zwei Männer in den Raum und blickten mit offenen Mündern zu dem Loch in der Decke und dann zu uns.
    »Ja, völlig falscher Weg«, bestätigte Amad. »Wir sind schon nach Süden abgebogen, aber dann kam der Sturm und hätte uns fast umgebracht. Uns blieb nichts anderes übrig, als nach Westen zu fliehen. Und … naja, eure Netze haben uns das Leben gerettet.«
    »Hungerleider, die unser Lager in Trümmer legen«, sagte einer der anderen Kerle abfällig. »Na danke! Schmeißen wir sie raus, bevor sie hier noch mehr Schaden anrichten.«
    Der dritte Mann musterte uns grimmig. »Von da oben kommt ihr? Aus den Geisterbergen? Das ist doch ’ne Lüge. Kein Mensch kann lebendig durch das Dämonenland spazieren!«
    Der Bärtige spuckte einen Batzen Kautabak auf den Boden, ohne das Gewehr zu senken. »Es sei denn, sie sind selber Dämonen«, knurrte er. Unwillkürlich drängte ich mich näher zu Amad. Diesmal war ich mir ganz sicher: Es waren die zwei Schatten, die mich verfolgten, seit wir die Stadt verlassen hatten. Sie waren fast durchsichtig und flüchtig wie schwarzer Rauch und niemand außer mir schien sie zu sehen. Nun beugten sie sich zu dem Bärtigen, als würden sie ihm etwas ins Ohr flüstern. Er bekam schmale Augen, ein kaltes Licht entzündete sich

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