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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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daraus hervorzerrte. Ich erschrak, als im nächsten Moment ein Seil um mein Handgelenk lag, eine Doppelschlinge, die er mit einem Ruck festzurrte. Bevor ich reagieren konnte, ließ Amad meine Zügel los und verdoppelte sein Tempo. Er ließ mich zurück und hetzte sein Pferd in gestrecktem Galopp auf die roten Felsnadeln zu, die wir vor einer Weile hinter uns gelassen hatten. Kurz vor den Felsen sprang er noch im Lauf vom Pferd und rettete sich mit dem losen Seilende zwischen die Felsnadeln. In letzter Sekunde: Der Himmel hörte auf, nur Atem zu holen und begann zu brüllen. Entwurzelte Sträucher fegten über die Ebene. Eine Wand aus Luft traf mich von der Seite mit einer Wucht, die mein Pferd von den Beinen holte und mich aus dem Sattel schlug. Der Aufprall war hart, ich überschlug mich, aber ich spürte mein eigenes Gewicht kaum. Wind kroch unter mich, hob mich an. Kaum vierzig Schritte hinter mir gähnte ein Abgrund, und ich rutschte auf ihn zu wie eine Feder, die jemand über einen Tischrand pusten wollte. Ich schrie, ohne dass ich mich selbst hörte. Dann ruckte das Seil, schnitt in mein Handgelenk und hielt mich, ein lächerlich dünnes Band zwischen mir und dem Tod. Mein Pferd hatte weniger Glück. Voller Entsetzen musste ich mitansehen, wie es versuchte, auf die Beine zu kommen und sein linkes Vorderbein dabei nur schlimmer in den Zügeln verhedderte. Es stürzte wieder, kam voller Panik halb hoch, wurde vom Wind gefällt und davongetrieben wie ein Spielball – bis es von einer letzten gewaltigen Sturmbö über die Kante gerissen wurde. Das Letzte, was ich von ihm sah, war ein Hinterhuf, der verzweifelt in die Luft schlug. Mein Seil ruckte, zog mich, Fels schrappte über meine Knie. Und endlich begann ich zu kämpfen. Roter, bitterer Sand füllte meinen Mund und brachte mich zum Husten. Halb blind ließ ich mich weiterziehen, kroch weiter, stemmte Zehen und Knie gegen die Felsfalten des Bodens. Im wirbelnden Sand konnte ich das Seil erkennen, das Amad an einem Felsen befestigt hatte, seine Beine, die er gegen Stein stemmte, sein vor Anstrengung verzerrtes Gesicht, als er mich Hand über Hand heranzog.
    Mit einem letzten Ruck entriss er mich der Windfaust. Wir schlugen beide lang hin und krochen zwischen die Felsen. »Weiter! Bleib dicht am Boden!« Obwohl Amad mir ins Ohr schrie, klang er körperlos. Der Himmel hatte sich verdunkelt wie bei einer Sonnenfinsternis. Irgendwo im Halbdunkel sah ich voller Erleichterung die goldenen Augen der Grauen aufleuchten, wie in einem Stummfilm bellte sie lautlos im Tosen des Sturms. Auf Knien und Ellenbogen robbte ich zwischen die Felsen, in ein erstaunlich geometrisches Labyrinth.
    Der Sturmwind drehte abrupt. Wie ein Raubtier, das unsere Spur wieder aufgenommen hatte, drängte er nun mit voller Wucht zwischen die Felsnadeln.
    Mein Arm rutschte ins Leere. Entsetzt fing ich mich und krallte mich in die Steinkante unter meinem Schlüsselbein. Unter mir: senkrechter Abgrund. Mir wurde schwindelig und übel vor Entsetzen. Durch Wolken, die wie verirrte Geister mindestens dreißig Meter unter mir trieben, erahnte ich Ebenen und Hügel, die mit blassgrünem Moos bewachsen waren – nur dass das Moos Bäume waren. Wir haben keine Chance mehr , schrie es in meinem Kopf. Verzweifelt versuchte ich zurückzukriechen – aber der Wind schob mich unbarmherzig auf den Abgrund zu. Es war Amad, der mich am Gürtel packte und zurückhielt.
    Er stemmte sich mit dem Rücken gegen eine Felsnadel, um die Taille ein Seil, und zog mit der freien Hand etwas aus dem Rucksack. Einen metallisch glänzenden Zylinder mit einem Lederband am Ende, das er mit den Zähnen abriss. Es roch scharf nach Verbranntem, Funken trafen wie Nadelstiche meine Haut. Amad schleuderte den Zylinder über mich hinweg in den Abgrund, dann warf er sich über mich und drückte mich zu Boden, schützte meinen Kopf mit seinen Armen. An meiner Schläfe konnte ich seinen Atem fühlen, erstaunlich ruhig, als würde die Gefahr sein Blut kühl werden lassen. Durch das Tosen hörte ich einen scharfen Knall, unter mir gab es einen Ruck, als würde der Fels selbst sich aufbäumen. Sprengstoff? Aber was …
    Dann holte der Wind zum letzten Schlag aus – die Graue wurde neben uns über die Kante gefegt und verschwand, als hätte jemand sie weggeschnippt. Ich konnte nicht einmal schreien. Wie eine Katze krallte ich mich an Amads Arm fest. Schmerzhaft drückte sich die Felskante in meine Rippen – rieb Sand auf meiner Haut. Amads

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