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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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schrägen Licht erschien er mir fremder denn je. Helle Strähnen schimmerten neben braunen und schwarzen. Ich wusste nicht, warum ich ausgerechnet jetzt an Tians Kupferlocken denken musste, sein sanftes Gesicht. Und warum ich es mit Amads Zügen verglich. Ich hätte ihn gerne wieder hässlich genannt, aber Juniper musste mich mit ihren Worten verhext haben, denn ich betrachtete seinen Mund und fragte mich, ob seine Geliebte ihn oft geküsst hatte. Reiß dich zusammen, schalt ich mich.
    »Amad, sag mir die Wahrheit. War Tian hier?«
    »Glaubst du, ich führe dich nach Süden, wenn er genau vor unserer Nase hierher abgebogen wäre? Wenn du mir schon nicht traust, glaube wenigstens der Logik.«
    Ich biss mir auf die Unterlippe. Er hatte recht. Es gab keine Spur von Tian und kein Fischer hatte ihn und seine Entführer gesehen.
    »Aber … warum ist er mir hier nahe?«
    Amad atmete tief aus, aber die Spannung wich nicht aus seiner Haltung. Als wäre ich diejenige, vor der er sich in Acht nehmen muss.
    »Vielleicht, weil deine Sehnsucht dir Nähe vorgaukelt?« Es überraschte mich, dass seine Züge bei diesen Worten weicher wurden. Eben noch war er zornig gewesen, aber jetzt sah ich einen Abglanz des jungen Mannes, der mir gestern Nacht Sternenmärchen erzählt hatte. Er trat auf mich zu, seine Hände legten sich auf meine Schultern, und ich war so überrascht, dass ich nicht zurückwich. »Du solltest es doch am besten wissen, Canda Zweiheit. Wenn man liebt, bildet man sich sogar ein, den Geliebten neben sich atmen zu hören, selbst wenn er Hunderte von Meilen entfernt ist.« Plötzlich kam es mir lächerlich vor, ihm zu misstrauen.Es ging auch um das Leben seiner Geliebten. Warum sollte er lügen? »Merkst du nicht, was du tust, Canda?«, sagte er eindringlich. »Du lässt dich verwirren und verlierst den Weg aus den Augen. Und wenn du mich fragst«, er senkte die Stimme, »ist es genau das, was Tian bezweckt.«
    *
    Ich ging nicht zurück zu den Fischern, sondern verkroch mich mit der Grauen in eine Nische im hintersten Teil des Altarraums. Das Gespräch hatte mich mehr verstört, als ich zugeben wollte. Irgendetwas stimmte nicht, wie ein einzelner falscher Ton in einem Musikstück. Und das Schlimmste war, dass auch Tians Widerhall verschwunden war, als hätte ich ihn mir tatsächlich nur eingebildet.
    Nur am Rand nahm ich wahr, wie Juniper und ein paar andere in den Raum kamen und ihre Lager herrichteten. Ich drehte mich zur Wand und stellte mich schlafend. Stunde um Stunde wehrte ich mich gegen den Schlaf, denn auch wenn die Träume Lügner waren, fürchtete ich mich vor dem Rabenmann. Aber er suchte mich nicht heim, das Einzige, was ich sah …
    … war endloser Rauch, durch den ich völlig orientierungslos watete. Er duftete nach Sandelholz und Lavendel. Als ich die Hand ausstreckte, verdichtete er sich. Meine Fingerspitzen stießen gegen milchige Kühle. Hauchdünnes konkav gebogenes Glas, das sofort die Wärme meiner Fingerspitzen annahm. »Tian? Bist du hier?« Mein Ruf brachte das Glas zum Vibrieren, etwas kam dahinter in Bewegung: Etwas Wolkiges, in dem ich Umrisse erkannte. Auf der anderen Seite waren … Menschen. Schemenhaft erahnte ich ihre Silhouetten, nur eine war näher und deutlicher zu erkennen: Es war weder Tian noch der blonde Junge mit der ängstlichen Stimme. Sondern eine schlanke Frau, die sich im Schlaf zusammenkauerte. Jetzt hämmerte ich mit den Fäusten gegen die Glashaut. Sie gab nach, ohne zu brechen, und meine Schläge hinterließen Abdrücke aus blauem Licht, die wie Höhlenzeichnungen aus einer anderen Welt wirkten. Die Frau erwachte und schreckte hoch. Sie sprang auf wie eine Schlafwandlerin, drehte sich, als würde sie nicht wissen, wie sie an diesen Ort gekommen war. Dann entdeckte sie mich und taumelte mir entgegen. Beim letzten Schritt stürzte sie, fiel gegen die Haut aus Glas, ihr schneller Atem beschlug an der Scheibe. Ich wollte zurückweichen, aber ich war so erstarrt, wie es nur im Traum möglich ist.
    Gut, das reicht! , befahl ich mir. Denk an etwas Logisches, das hilft beim Aufwachen. Denk an die Wüste, den Sand – wie viele Sandkörner passen in eine Hand?
    »Grober Sand, Durchmesser eines Korns zwei Millimeter«, flüsterte ich. »Bei einem Gewicht von …«
    Aber das Traumgespenst hielt mich in seinem Bann. Blaue Augen starrten mich an, schwarzes Haar fiel der jungen Frau wirr in das Gesicht und floss über die Brüste. Sie trug so etwas wie einen Lederharnisch, ein

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