Der dunkle Punkt
Antwort abzuwarten, die, nachdem sie sich gefaßt hatte, ziemlich schroff erwiderte: »Nein.«
»Wollen Sie nicht auch Platz nehmen, Miss - oder muß es Mrs. heißen?«
»Es heißt Mrs.«, warf ich schnell dazwischen, bevor Bertha mit ihrem Namen herausrücken konnte, und fügte betont hinzu: »Aber bitte, meine Herren, setzen Sie sich doch.«
Goldring hob die Augen und betrachtete mich durch den Zigarettenrauch wie ein lästiges Insekt, das ihm mit seinem Summen auf die Nerven fiel.
Cutler schlug die Beine übereinander und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ich will ganz offen mit Ihnen sein. Meine Frau hat mich vor drei Jahren verlassen. Unsere Ehe war nicht sehr glücklich. Es gab Unstimmigkeiten. Meine Frau verließ mich und fuhr nach New Orleans. Es hat mich einige Mühe gekostet, sie hier ausfindig zu machen.«
»Stimmt«, pflichtete Goldring bei. »Ich hab’ mir nach der Dame die Hacken abgelaufen.«
»Mir war inzwischen zu meinem Leidwesen klargeworden«, fuhr Cutler mit samtweicher Stimme fort, »daß wir in unserer Ehe endgültig Schiffbruch erlitten hatten. Eine Scheidung schien die einzig mögliche Lösung zu sein. Wenn zwei Menschen sich nicht mehr lieben, wird die Ehe ...«
Bertha hatte sich in ihrer ganzen Fülle auf der Couch niedergelassen, einem für sie höchst unbequemen Platz, der auf ihre angeborene Reizbarkeit nicht gerade besänftigend wirkte. Sie unterbrach Cutler erbost: »Die langen Vorreden können Sie sich schenken! Ihre Frau machte sich aus dem Staube. Sie hatten die Nase endgültig voll und wollten ihr die Rückkehr ein für allemal versalzen. Na schön, ich nehm’s Ihnen nicht übel. Aber was hat das alles mit mir zu tun, zum Donnerwetter?«
Er lächelte. »Ihre Offenherzigkeit ist direkt erfrischend, meine Gnädigste. Sie nehmen mir diese Bemerkung hoffentlich nicht krumm. Übrigens haben Sie ganz recht, Mrs. – äh…«
»Gut«, unterbrach ich. »Kommen wir endlich zur Sache. Wir waren nämlich gerade im Begriff, essen zu gehen. — Sie reichten also vermutlich die Scheidung ein. Ihr Freund Goldring machte sich auf die Suche nach
Ihrer Frau und übergab ihr, als er sie endlich aufgestöbert hatte, die Abschrift der Scheidungsklage. Stimmt’s?«
»Stimmt«, erwiderte Goldring verblüfft und voller Hochachtung für meinen Scharfsinn.
Cutler nickte. »Nun aber behauptet meine Frau mit einemmal, daß sie die Scheidungspapiere nie bekommen hat«, erklärte er entrüstet. »Eine völlig widersinnige Behauptung, die für mich sehr unangenehme Folgen haben könnte. Zum Glück erinnert sich Mr. Goldring noch ganz genau an die Begegnung mit ihr.«
»Stimmt«, wiederholte Goldring. Anscheinend war das seine Lieblingsvokabel. »Es war am 13. März vor zwei Jahren, so um drei nachmittags. Sie machte die Tür auf, und ich fragte sie, ob sie Cutler hieße und hier wohnte. Sie sagte, ja. Natürlich hatte ich mich vorher erkundigt und wußte daher, daß die Wohnung an eine Edna Cutler vermietet worden war. Dann fragte ich sie, ob sie mit Vornamen Edna hieße, und sie sagte wieder ja. Dann holte ich die Vorladung und die Abschrift der Scheidungsklage heraus und übergab ihr die Papiere. Wir standen die ganze Zeit da drüben an der Tür.« Er wies mit dem Kopf nach dem Treppenhaus.
»Ja«, sagte Cutler, »genauso spielte es sich ab. Meine Frau behauptet jedoch, sie wäre zu dem fraglichen Zeitpunkt gar nicht in New Orleans gewesen. Dabei hat Mr. Goldring auf Anhieb ein Foto von ihr identifiziert.«
Bertha wollte etwas sagen. Ich versetzte ihr unauffällig einen Schubs, räusperte mich und blickte stirnrunzelnd auf den Teppich. »Wenn ich Sie recht verstehe, Mr. Cutler, geht es Ihnen darum, einen einwandfreien Beweis dafür einzutreiben, daß Ihre Frau zu dem fraglichen Zeitpunkt dieses Apartment bewohnte und daß ihr die Scheidungspapiere ordnungsgemäß übergeben wurden.«
»Ja.«
»Ich kenne New Orleans recht gut und bin schon ein paarmal hier gewesen, das letztemal vor etwa zwei Jahren. Meistens nehme ich mir ein Zimmer im französischen Viertel. Diese verwinkelten Straßen und versteckten Höfe haben für mich einen besonderen Reiz. Beim letztenmal bewohnte ich ein Apartment so ziemlich genau gegenüber. Vielleicht kann ich Mrs. Cutlers Foto identifizieren.«
Sein Gesicht leuchtete auf. »In der Tat, wenn das möglich wäre! Das ist es ja gerade, was ich suche: Zeugen, die sie vor zwei Jahren hier gesehen haben.« Er zog einen Briefumschlag aus der Rocktasche und entnahm
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