Der dunkle Punkt
meine F-freunde zu Gin und C-cola ein. D-das macht einen nicht betrunken. Man wird nur m-munter. St-stimmt’s, Lam?«
»Stimmt.«
Marilyn streifte sich die Armbanduhr wieder über. Sie wischte mit einer Papierserviette an ihrem Handgelenk herum, sah mich und Rosalind an und murmelte: »Ein lustiger Abend, Kinder, was?«
Die Schau ging weiter. Der Mann mit dem Banjo und die Dame mit dem ägyptischen Profil brachten diesmal im Frack und Abendkleid moderne Tänze. Dann erschien die Stripteasekünstlerin, nur mit einem großen Fächer bekleidet, und wedelte damit herum. Danach flammten die Lampen wieder auf, und Joe produzierte sich. Sein Repertoire war zwar beschränkt, aber er beherrschte sein Fach virtuos.
»Wie viele Joes gibt’s hier eigentlich?« erkundigte ich mich bei Marilyn.
»Nur einen. Warum?«
»Ausgeschlossen. Er muß einen Zwilling haben.«
»Wieso? Sehen Sie ihn d-doppelt?« fragte Hale.
»Nein. Aber ein Mensch allein kann unmöglich so viele Bestellungen in so kurzer Zeit erledigen. Das ist wider die Natur.«
Joe grinste halb verächtlich, halb amüsiert, und Hale brach in schallendes Gelächter aus. Er lachte so stürmisch, daß ich befürchtete, er würde jeden Moment vom Stuhl purzeln.
»Noch mal dasselbe, Joe«, sagte Marilyn und zwinkerte ihm zu.
Unvermittelt schob ich meinen Stuhl zurück. »Nicht für mich, Herrschaften. Ich mach’ mich jetzt auf die Socken.«
Rosalind sah mich erschrocken an. »Aber, Donald, wie schade! Jetzt wird’s doch erst richtig nett.«
Ich griff nach ihrer Hand und hielt sie lange genug fest, um ihr zwei zusammengefaltete Eindollarnoten zuzustecken. »Tut mir leid. Ich fühl’ mich ein bißchen flau. Der letzte Drink ist mir anscheinend nicht bekommen.«
Hale schmunzelte selbstgefällig. »Sollten eben nur Gin und Cola trinken. Wunderbares Zeug. Das hebt die Stimmung. Aber ihr jungen Leute könnt eben nichts vertragen. Wir haben ausgepichte Kehlen, Marilyn, stimmt’s?« Sein Gesicht war stark gerötet. Seine Äuglein blinzelten lüstern und ziemlich benebelt.
Marilyn lächelte und tätschelte seine Hand. Dann tauchte sie einen Zipfel der Serviette in ein Glas mit Wasser und tupfte damit ihr Handgelenk ab.
»Gute Nacht, alle miteinander«, sagte ich.
Hale spähte zu mir hoch. Sein Gesicht wurde ernst. Er wollte etwas sagen, überlegte es sich anders, wandte sich Marilyn zu; dann fiel ihm etwas Neues ein, und er drehte sich wieder zu mir um. »Mein Freund Donald ist ein komischer Vogel, Marilyn. Direkt ein Unikum.«
»Was für ein Vogel?« fragte sie. »Ein Gimpel?«
»Nein.« Hale entging der tiefere Sinn ihrer Bemerkung. »Eine Eule, eine regelrechte Eule. Kluger Bursche, wissen Sie? Hört das Gras wachsen. Vor ihm muß man sich in acht nehmen. Er ist eine Eule.« Anscheinend hielt er das für einen guten Witz. Als ich mich zum Gehen anschickte, schnappte er prustend nach Luft, und Lachtränen kullerten ihm über die Wangen.
Im Hotel lag ein Telegramm für mich. Bertha war inzwischen in Los Angeles eingetroffen, und der Text war typisch für sie:
Kümmere Dich nicht um Fälle, die längst verjährt sind. Habe nicht genug Leute, um Dir Deine Sonderwünsche zu erfüllen. Wofür hältst Du Dich eigentlich?
Ich befand mich gerade in der richtigen Stimmung, um ihr die Antwort zu telegrafieren, die sie verdiente:
Mord verjährt niemals. Hale hält mich für eine Eule.
14
Um sieben Uhr stand ich auf, duschte, rasierte mich und frühstückte. Darm nahm ich den Revolver, der unserer Detektei gehörte und zu meinem persönlichen Gebrauch bestimmt war, aus meiner Reisetasche. Er hatte ebenfalls Kaliber 38 und einige Rostflecken. Sonst war er in guter Verfassung. Ich steckte ihn ein und machte mich auf den Weg. Hale würde von meinem frühen Besuch nicht entzückt sein. Vermutlich hatte er einen Kater.
Ich trampelte mit Donnergepolter die Treppe hinauf und trommelte gegen die Tür. Hale rührte sich nicht. Schließlich nahm ich die Füße zu Hilfe und schlug fast die Tür ein. Der Kerl hatte einen abnorm festen Schlaf. Ich hörte mit dem Lärm auf, holte meinen Wohnungsschlüssel aus der Tasche und ließ mich ein. Hale war nicht da. Das Bett war nur wenig zerwühlt. Offenbar hatte er nicht länger als eine Stunde darin gelegen. Ich machte einen Rundgang durch sämtliche Räume und inspizierte den Balkon. Sobald ich mich vergewissert hatte, daß die Luft rein war, nahm ich mir den Schreibtisch vor. Ich zog alle Schubladen heraus, kippte ihn auf die
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