Der dunkle Punkt
obwohl er es die ganze Zeit über abstritt. Von ihm bekam ich jeden Monat eine bestimmte Summe ausgezahlt für die Miete, meinen Lebensunterhalt, Kleidung, Friseur und dergleichen.«
»Übergaben Sie ihm die Scheidungspapiere?«
»Nein. Er wollte sie nicht annehmen. Er behauptete, dazu wäre er nicht befugt.«
»Gut. Nun zurück zu dem bewußten Abend. Nostrander eignete sich also Ihre Handtasche an. Was geschah dann?«
»Er verschwand, ohne mich eines Wortes zu würdigen.«
»Bezahlte er nicht wenigstens die Rechnung?«
»In Jack O’Learys Bar wird jeder Drink sofort bezahlt.«
»Er ließ Sie also einfach sitzen?«
»Ja.«
»Was machten Sie daraufhin?«
»Ich saß noch eine Weile in der Bar herum. Dann bemerkte ich an einem Tisch zwei Soldaten, die mir schöne Augen machten, und da dachte ich, na schön, warum eigentlich nicht. Wenn ich den armen Kerlen ein paar nette Stunden verschaffen konnte, sollten sie sie haben. Ich lächelte ihnen zu, sie kamen zu mir herüber, und wir unterhielten uns. Es waren reizende Burschen aus Milwaukee. Sie waren zum erstenmal in New Orleans und kannten die Stadt überhaupt noch nicht. Ich führte sie herum, zeigte ihnen ein paar Sehenswürdigkeiten, erzählte ihnen alles mögliche über das französische Viertel, und zwischendurch kehrten wir immer wieder ein. Als ich mich verabschiedete, standen sie beide nicht mehr sehr fest auf den Beinen.«
»Und weiter?«
»Danach ging ich zu Fuß nach Hause, den ganzen verdammten Weg.«
»Warum nahmen Sie kein Taxi?«
»Wie denn, zum Kuckuck noch mal? Ich hatte doch keinen Cent.«
»Wie wollten Sie in Ihre Wohnung kommen, wo Sie doch keinen Schlüssel hatten?«
»Ich hatte einen Schlüssel.«
»Sie sagten doch, Nostrander hätte ihn mitgenommen.«
»Ja, aber in meinem Briefkasten lag noch ein zweiter. Sehen Sie, es ist mir ein paar mal passiert, daß ich schnell was einholen ging, die Tür zuschlug und zu spät merkte, daß ich den verflixten Schlüssel vergessen hatte. Deshalb liegt immer ein zweiter im Briefkasten.«
»Um welche Zeit trennten Sie sich von den Soldaten?«
»Oh, ungefähr um zwei Uhr, schätze ich.«
»Wann trafen Sie zu Hause ein?«
»Ganz genau zwanzig Minuten nach zwei.«
»Woher wissen Sie das so genau? Haben Sie einen Schuß gehört?«
»Nein, gehört hab’ ich nichts. Aber ich habe etwas gesehen.«
»Was denn?«
»Meinen Freund Archibald Smith.«
Ich verdaute diese Mitteilung. »Moment mal. Sie können ihn gar nicht gesehen haben. In jener Nacht war er in New York.«
Sie lächelte. »Ich sah ihn aber. Ganz deutlich.«
»Haben Sie miteinander gesprochen?«
»Nein. Das Ganze spielte sich folgendermaßen ab: Er fuhr im Taxi an mir vorbei, als ich vielleicht noch fünfzig Meter vom Haus entfernt war. Er stieg aus, lief die drei Stufen vor der Haustür hinauf und klingelte an meiner Wohnung.«
»Sind Sie sicher, daß es Ihre Wohnung war?«
»Also - ja, ziemlich sicher. Ich konnte die Klingelleiste erkennen und auch, an welcher Stelle er den Knopf drückte.«
»Was geschah, als er feststellte, daß Sie nicht zu Hause waren?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wieso?«
»Weil jemand den Summer bediente und er hineinging.«
»Oh!«
»Eben. Das sagte ich in diesem Moment damals auch. Als ich ihn ins Haus gehen sah, wurde mir plötzlich alles klar. Ich begriff, daß Paul Nostrander meine Handtasche an sich genommen hatte, weil er meinen Wohnungsschlüssel haben wollte, und daß er nun oben saß und auf mich wartete.«
»Ein ziemlich massiver Annäherungsversuch!«
»Ach, wenn’s nur das gewesen wäre! Damit wäre ich schon irgendwie fertig geworden. Aber ich konnte mir ungefähr vorstellen, was in seinem Kopf vorging. Er hatte mir den ganzen Abend über meine Treulosigkeit vorgeworfen. Sehen Sic, als ich vor zwei Jahren plötzlich von der Bildfläche verschwand, mußte er natürlich annehmen, ich wäre mit einem anderen Mann davongelaufen. Er hatte sogar in der Seufzerspalte nach mir annonciert. Das Inserat lief fast zwei Jahre lang.«
»Ich weiß. Ich hab’s gesehen.«
»Na also. Ich war mir natürlich klar darüber, daß ich ihm irgendwann mal, auf der Straße oder sonstwo, in die Arme laufen würde. Aber ich hoffte, er hätte mich bis dahin vergessen und sich in eine andere verliebt. Fehlanzeige. Er gehörte anscheinend zu den komischen Menschen, die ausgerechnet das haben wollen, was sie nicht bekommen können. Das muß ein Komplex bei ihnen sein.«
Ich nickte.
»Als ob ich noch nicht
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