Der dunkle Ritter (German Edition)
am Himmel erreicht. Wie das brennende Rad, das jetzt hügelabwärts rollte, würden die Stunden des Tageslichtes von nun an abnehmen und der Frühling dem Sommer weichen.
»Die Zeit vergeht so schnell«, dachte Emmalyn laut. Ihre Stimme war inmitten des lärmenden Getöses, das die Entfernung vom Dorf bis zur Burg überwand, kaum zu hören. Das Rad hatte jetzt die Menschenmenge erreicht, die sich am Fuße des Südhügels versammelt hatte. »Es ist schwer zu glauben, dass morgen schon die Heuernte beginnt.«
»Aye, es ist schwer zu glauben«, stimmte Bertie zu. »Aber das sind die Sorgen von morgen, Mylady, nicht die von heute. Heute solltet Ihr dem Beispiel der Leute folgen und Euch eine Freude gönnen. Eure Sorgen werden auch morgen früh noch da sein, ob Ihr nun grübelt und hierbleibt oder nicht. Kommt mit mir zur Feier, Kind. Es würde Eurem Herzen guttun.«
Obwohl es schwer war, etwas gegen Berties Logik einzuwenden, und das Angebot, sich den Feiernden anzuschließen, verlockend war, schüttelte Emmalyn den Kopf. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal an einem der Feste der Dorfbewohner teilgenommen hatte. Sich auf dem Fest zu zeigen, jetzt, da sie von den Leuten wegen ihrer Haltung gegenüber Hugh noch immer so hoch gelobt wurde, würde sie nur in den Mittelpunkt ungewollter – und gewiss unverdienter – Aufmerksamkeit rücken. »Es ist ihr Fest, Bertie, nicht meines. Und bitte, denk nicht, dass du mir Gesellschaft leisten musst, wenn du eigentlich viel lieber draußen bei all den anderen sein möchtest. Geh und amüsiere dich.«
Bertie warf ihr einen enttäuschten Blick zu, widersprach aber nicht. Sie trank ihren Wein aus, räumte ihr Spinnzeug fort und verließ dann, nach Emmalyns erneuter Aufmunterung, das Zimmer. Emmalyn blieb am Fenster stehen und lauschte auf Berties Schritte, die sich den Gang hinunter entfernten. Bertie würde sich jetzt eines ihrer besseren Gewänder anziehen, vermutete Emmalyn, und sie würde die Nacht damit verbringen, um die Freudenfeuer zu tanzen und mit den Bauersleuten zu singen, als wäre sie ein Mädchen, das jünger war als Emmalyn mit ihren zwanzig Jahren.
In Wahrheit beneidete Emmalyn ihre Leute um diese Freiheit, und sie verspürte plötzlich den Wunsch, auch sorglos und aller Verpflichtungen ledig zu sein, und sei es nur für ein paar Stunden. Aber der Gedanke an die Begegnung mit Hugh und ebenso die Sorgen darüber, was die Zukunft für sie bereithielt, ließen ihr das Herz immer wieder schwer werden. Doch auch noch etwas anderes lastete auf ihr. Sollte die Königin dem Gesuch Emmalyns stattgeben, würde Cabal Fallonmour in absehbarer Zeit verlassen … und vielleicht für immer aus ihrem Leben verschwinden.
Wie sehr sie auch versuchte, davon überzeugt zu sein, dass das genau das war, was sie wollte – dass es das war, was sie für sich und für Fallonmour hatte tun müssen – , empfand Emmalyn wenig Freude bei dem Gedanken, Cabal könnte für immer fortgehen. Sie hatte ihn schrecklich vermisst während der letzten Tage. Seine beharrliche Reserviertheit beschäftigte sie sehr, aber sie konnte es nicht über sich bringen, zu ihm zu gehen und eine Zurückweisung in Kauf zu nehmen.
Niedergeschlagen wollte sich Emmalyn in ihre Schlafkammer zurückziehen, als das rhythmische Geräusch näher kommender Hufschläge ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein erneuter Blick aus dem Fenster zeigte ihr unten auf dem Burghof, über den die Dämmerung sich zu senken begann, Cabal, der zur Burg zurückkehrte. Vor ihm auf dem Schlachtross saß der kleine Wat, der fröhlicher war, als sie ihn bis jetzt erlebt hatte. Emmalyn verbarg sich hinter der steinernen Laibung und beobachtete neugierig, wie Cabal abstieg und dann den Jungen aus dem Sattel hob und ihn auf den Boden stellte.
Zuerst fragte sie sich, ob Cabal den Jungen mit hinausgenommen hatte, um nach seinen Leuten zu suchen, aber der Junge schien zu aufgeregt für eine solch nüchterne Aufgabe zu sein. Wat redete so schnell, dass es Emmalyn unmöglich war, auch nur ein Wort davon mitzubekommen. Seine Aufregung jedoch war ebenso unverkennbar wie seine Bewunderung für Cabal. Er hielt einen kleinen Gegenstand in der Hand, als er Cabal, der sein Pferd in den Stall führte, wie ein eifriger Welpe folgte. Emmalyn wartete darauf, dass der Ritter ihn zurückstoßen würde, ihn mit derselben Ungeduld beiseiteschieben würde, die er vom ersten Tag an dem Jungen gegenüber gezeigt hatte.
Sie ließ ihn nicht aus den
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