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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Einfach nur ein Stück Fleisch, das sich dahinquält, isst, trinkt, schläft, arbeitet, scheißt.«
    »Wie wir alle.« Es war das Erste, was Arctor zu sagen fertig brachte; die Worte kamen heraus, als müsse er jedes einzelne von ihnen mühsam erbrechen.
    »Genau das hab ich ihm auch gesagt, hab versucht, ihm das klarzumachen. Wir säßen alle im gleichen Boot und so. Und er sagte: ›Du weißt nicht, was ich gesehen habe. Du weißt es nicht.‹«
    Ein Krampf lief durch Arctor, erschütterte seinen ganzen Körper, und dann würgte er heraus: »Hat er… hat er gesagt, wie es war?«
    »Funken. Kaskaden von farbigen Funken, ungefähr so, als würde an deinem Fernseher was kaputtgehen. Funken, die die Wände hochgingen, Funken in der Luft. Und die ganze Welt war ein lebendiges Wesen, wohin auch immer er blickte. Und es gab keine Zufälle – alles passte zusammen, geschah aus einem bestimmten Grund, weil etwas erreicht werden sollte, irgendein Ziel in der Zukunft. Und dann sah er eine Tür. Ungefähr eine Woche lang sah er sie, wo immer er auch war – drinnen in seinem Apartment oder draußen, wenn er zum Laden ging oder durch die Gegend fuhr. Und sie hatte immer die gleichen Proportionen, sie war sehr schmal. Er sagte, sie sei… beglückend gewesen. Das war der Begriff, den er verwendet hat, beglückend. Er hat nie versucht, durch die Tür hindurchzugehen, er hat sie einfach nur angeschaut, weil sie so beglückend war, ihr lebendiges rotes und goldenes Licht, als ob sich die Funken entlang bestimmter Linien versammelt hätten, wie in der Geometrie. Und dann, hinterher, meine ich, hat er sie nie wieder gesehen, in seinem ganzen Leben nicht, und das war es, was ihn schließlich so fertig gemacht hat.«
    Nach einer Weile fragte Arctor: »Und was war… auf der anderen Seite?«
    Donna sah ihn an. »Er sagte, da sei eine ganze Welt gewesen. Er konnte sie sehen.«
    »Er… ist nie hindurchgegangen?«
    »Das ist ja der Grund, warum er wie ein Irrer in seinem Apartment rumgetobt ist – er hat nie auch nur daran gedacht hindurchzugehen, er hat die Tür einfach nur bewundert und nach einiger Zeit konnte er sie nicht mehr sehen – und da war’s dann zu spät. Sie öffnete sich ihm nur für ein paar Tage, dann schloss sie sich wieder und verschwand für immer. Er hat daraufhin natürlich immer wieder LSD zusammen mit diesen wasserlöslichen Vitaminen genommen, aber er hat sie nie wieder gesehen, er hat nie die richtige Dosierung gefunden.«
    »Was war auf der anderen Seite?«
    »Er sagte, es sei immer Nacht gewesen.«
    »Nacht!«
    »Da war Mondschein und Wasser, immer das gleiche Bild. Nichts bewegte oder veränderte sich. Schwarzes Wasser, wie Tinte, und ein Ufer. Er war sich sicher, dass es Griechenland war, das Griechenland des Altertums. Er hatte die Theorie, dass die Tür eine Art schwache Stelle in der Zeit war und dass er zurück in die Vergangenheit blickte. Später, als er sie nicht mehr sehen konnte, meine ich, ist er immer auf den Freeway hinausgefahren, mitten hinein in den dichtesten Lastwagenverkehr, und dabei jedes Mal schier wahnsinnig geworden. Er sagte, er könne die Raserei und den Lärm nicht mehr aushalten, all das Scheppern und Krachen. Jedenfalls fand er nie heraus, warum ihm das, was er gesehen hatte, gezeigt worden war. Er glaubte wirklich daran, dass es Gott gewesen war, die Tür zur nächsten Welt, aber letztlich ist dabei nur herausgekommen, dass er verrückt wurde. Er konnte es nicht festhalten – und damit wurde er nicht fertig. Jedes Mal, wenn er irgendwen kennen lernte, erzählte er ihm nach einiger Zeit, er hätte alles verloren.«
    »So fühle ich mich auch.«
    »Da war eine Frau auf der Insel. Keine richtige – mehr so eine Statue. Er sagte, es sei die Aphrodite von Kyrene gewesen. Und sie stand einfach nur da, im Mondschein, bleich und kalt und ganz aus Marmor.«
    »Er hätte durch die Tür gehen sollen, als er die Chance dazu hatte.«
    »Aber er hatte die Chance ja gar nicht. Es war ein Versprechen. Etwas, was später sein würde. Etwas Besseres, das ihn in ferner Zukunft erwartete. Nachdem…« Sie hielt inne. »Nach seinem Tod vielleicht.«
    »Er hat sie verpasst. Man kriegt nur eine Chance, und damit hat sich’s.« Arctor schloss die Augen, um sich vor dem Schmerz und dem Schweiß zu schützen, der in Bächen über sein Gesicht rann. »Und überhaupt, was weiß denn so ein ausgebrannter Junkie schon? Was weiß überhaupt einer von uns? Ich kann nicht mehr reden… Vergiss es.« Er

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