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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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weiß niemand.
    Die schlimmsten Identitätskrisen machte Arctor immer dann durch, wenn er wieder einmal von dem Mann angeschissen wurde. Wenn die Bullen – ganz gleich, ob es nun Beamte in gewöhnlichen Uniformen, Spezialeinheiten in paramilitärischen Kampfanzügen oder irgendwelche andere Polypen waren – mit ihrem Streifenwagen dicht am Randstein neben ihm herfuhren, dabei die Geschwindigkeit langsam seinem Schlenderschritt anpassten, ihn durch die Seitenfenster mit gespannten, scharfen, metallischen, leeren Blicken prüfend anstarrten und dann, offensichtlich aus einer bloßen Laune heraus, anhielten und ihn zu sich winkten.
    »Okay, zeig uns mal deinen Ausweis«, sagte der betreffende Bulle gewöhnlich und streckte die Hand aus dem heruntergekurbelten Fenster; und dann, während Fred-Arctor-wer-auch-immer in seiner Brieftasche herumfummelte, pflegte der Bulle ihn anzuschreien: »Schon mal verhaftet worden?« Und um das Ritual ein wenig zu variieren, fügte er vielleicht noch hinzu: »Früher?« So, als ob Arctor im nächsten Augenblick ins Loch wandern würde.
    »Was liegt denn an?«, sagte Arctor dann in der Regel, wenn er überhaupt etwas sagte. Natürlich versammelte sich automatisch eine Menschenmenge am Ort des Geschehens. Die meisten der Zuschauer nahmen wohl an, der arme Kerl sei beim Dealen an der Straßenecke erwischt worden; sie grinsten nervös und warteten, was weiter geschah. Einige von ihnen allerdings – meist Chicanos oder Schwarze oder Typen, denen man auf den ersten Blick ansah, dass sie selber zur Szene gehörten – verfolgten das Geschehen wütend. Doch sie kapierten schon nach kurzer Zeit, dass sie wütend aussahen, und beeilten sich, einen eher unbeteiligten Gesichtsausdruck aufzusetzen – weil es nämlich ein offenes Geheimnis war, dass jeder, der in Anwesenheit von Bullen wütend oder unbehaglich dreinblickte (was davon, war egal), etwas zu verbergen hatte. Wenn man den Gerüchten, die so im Umlauf waren, Glauben schenken wollte, dann wussten das gerade auch die Bullen – und nahmen sich diese Typen als Nächste vor.
    Heute jedoch belästigte niemand Bob Arctor. Eine Menge Szenetypen liefen hier herum; er war nur einer unter vielen.
    Was bin ich eigentlich?, fragte er sich. Einen Augenblick lang sehnte er sich nach seinem Jedermann-Anzug. Dann, dachte er, könnte ich als vager Fleck weitergehen und die Passanten, die ganzen Leute auf der Straße, würden applaudieren. Bühne frei für den vagen Fleck! Er spulte die Szene im Lions Club noch einmal vor seinem inneren Auge ab. Was für eine Art, Anerkennung zu finden! Wie konnten sie sich denn eigentlich sicher sein, dass er der richtige vage Fleck war und nicht ein anderer? Es könnte jemand anderes als Fred drinstecken – oder ein anderer Fred – und sie würden das nie erfahren, nicht einmal dann, wenn Fred den Mund aufmachte und redete, nein, nicht einmal dann. Beispielsweise könnte der Träger des Jedermann-Anzuges Al sein, der vorgab, Fred zu sein. Jeder Beliebige könnte da drin stecken – ja, der Anzug könnte sogar leer sein: Von der Zentrale aus könnten sie per Funk eine Stimme in den Jedermann-Anzug senden, könnten ihm auf diese Weise Leben einhauchen. Fred könnte also jeder x-beliebige sein, der zufällig an diesem Tag an seinem Schreibtisch sitzt und dort das Skript und das Mikro vorfindet, oder eine ganze Reihe von Typen an ihren Schreibtischen.
    Aber ich glaube, dass dank meiner Schlussworte diese Möglichkeit wohl doch nicht in Betracht kommt, dachte er. Die Jungs drüben im Büro wollen ja gerade darüber mit mir sprechen.
    Da er nicht besonders scharf auf dieses Gespräch war, trödelte er weiter herum, um so das Treffen hinauszuschieben. Sein zielloses Herumwandern führte ihn nirgendwohin – und doch überallhin. In Kalifornien machte es keinen Unterschied, wohin man ging; immer stieß man auf denselben McDonald’s, wie bei einer kreisförmigen Kulisse, die an einem vorbeiläuft, während man vorgibt, irgendwohin zu gehen. Und wenn man schließlich Hunger bekam und den McDonald’s betrat und einen Hamburger kaufte, war es genau derselbe, den sie einem schon beim letzten Mal verkauft hatten und beim vorletzten Mal und immer so weiter, bis zurück in die Zeit, bevor man geboren worden war, und außerdem behaupteten böse Zungen, dass er aus Truthahnmägen bestand – was natürlich nur eine ganz üble Lüge sein konnte.
    Wenn man den Reklameschildern glauben schenkte, dann hatten sie denselben Hamburger

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