Der dunkle Schirm
Beamte konnten das eben besser als ihre Kollegen.
Als Arctor und Donna in diesem Moment miteinander sprachen, hörte niemand simultan mit; der elektronische Mitschnitt würde jedoch am nächsten Tag zur Überprüfung abgespult werden. Wenn sie etwas eindeutig Illegales besprachen und der Überwachungsbeamte das bemerkte, würde man von ihnen Stimmabdrücke machen. Arctor und Donna mussten das Gespräch also so unverfänglich wie möglich halten. Aber auch dieser Dialog konnte immer noch als Rauschgift-Deal erkennbar sein. Hier kam ihnen jedoch ein gewisses regierungstypisches Effektivitätsdenken zugute: Für die Behörden lohnte es sich einfach nicht, die ganze komplizierte Prozedur mit den Stimmabdrücken und den anschließenden Nachforschungen durchzuziehen, wenn es nur um kleine Delikte ging. Davon gab es viel zu viele und sie wurden tagtäglich über viel zu viele Telefone besprochen. Donna und Arctor wussten das natürlich.
»Wie geht’s?«, erkundigte er sich.
»So la la.« Ein kurzes Zögern in ihrer warmen, rauen Stimme.
»Was macht dein Kopf heute?«
»Totale Wirrnis. Bin irgendwie down.« Pause. »Mein Boss hat mich heute früh im Laden angemacht.« Donna arbeitete an der Kasse einer kleinen Parfümerie in der Gateside Mall in Costa Mesa. Sie fuhr jeden Morgen mit ihrem MG hin. »Stell dir mal vor, was er von mir wollte. Da war so ein Kunde, ein abgehalfterter Opa, einer von diesen Typen mit den grauen Schläfen, du kennst die Sorte ja, und der hat uns um zehn Eier beschissen. Und weißt du, was mein Chef gesagt hat? Das wär nur mein Fehler gewesen und ich müsste den Schaden ersetzen. Jetzt werden mir die zehn Kröten vom Gehalt abgezogen, ohne dass ich überhaupt einen Scheißfehler gemacht habe.«
Arctor sagte: »Hey, kann ich was von dir kriegen?«
Sie klang plötzlich mürrisch – als ob sie nicht wollte. Aber das war nur einer der kleinen, in diesem Geschäft üblichen Bluffs. »Wie viele… willst du? Eigentlich…«
»Zehn«, fiel er ihr ins Wort. So, wie sie es vereinbart hatten. Eins stand für einhundert – er bat sie also um tausend.
Wenn man derartige Geschäfte über öffentliche Kommunikationseinrichtungen abwickelte, war es praktisch, die wirklich großen Transaktionen als alltägliche Mini-Deals zu tarnen. Bei so geringen Mengen wie hier konnte man sogar einen Deal nach dem anderen durchziehen, ohne dass sich die Behörden darum kümmerten. Würden sie auf jeden kleinen Deal reagieren, wären die Drogenfahnder Tag und Nacht unterwegs, um Apartments und Häuser, ja sogar ganze Straßenzüge zu durchsuchen, und heraus käme dabei so gut wie nichts.
»Zehn«, murmelte Donna gereizt.
»Mensch, mir geht der Arsch wirklich auf Grundeis«, sagte Arctor wie ein mieser kleiner Süchtiger. Nicht wie ein Dealer. »Ich werd’s dir später zurückzahlen, wenn ich mir wieder was beschafft hab.«
»Nein«, erwiderte sie hölzern. »Ich geb sie dir gratis.« Zweifellos dachte sie jetzt intensiv darüber nach, ob er wohl wirklich selber dealte. Vielleicht tat er’s. »Zehn. Okay, warum nicht? Sagen wir… in drei Tagen?«
»Nicht früher?«
»Die sind…«
»Okay.«
»Ich schau bei dir vorbei.«
»Um wie viel Uhr?«
Sie überlegte. »Sagen wir, gegen acht Uhr abends. Hey, ich muss dir unbedingt ein Buch zeigen. Jemand hat’s im Laden vergessen. Es ist echt irre. Hat was mit Wölfen zu tun. Weißt du, was Wölfe manchmal machen. Der Wolfsrüde. Wenn er seinen Gegner besiegt hat, macht er ihn nicht alle – er pisst einfach auf ihn drauf. Echt! Er steht da und pisst auf den besiegten Gegner und haut dann ab. Das ist alles. Hauptsächlich kämpfen sie um ihre Territorien. Und um das Recht zu bumsen, weißt du.«
»Ich hab kürzlich auch ’n paar Leute angepisst.«
»Ehrlich? Wie das denn?«
»Metaphorisch.«
»Nicht so, wie man’s sonst macht?«
»Ich meine, ich hab ihnen gesagt…« Er unterbrach sich mitten im Satz – er quatschte mal wieder zu viel. »Diese blöden Typen, diese Motorradfreaks, du weißt schon. Die drüben beim Foster’s Freeze rumhängen. Ich schlendere da also nichts ahnend vorbei und einer der Typen lässt 'ne Bemerkung raus. Da bin ich eben stehen geblieben und hab ihnen gesagt…«
»Du kannst es mir ruhig verraten, selbst wenn’s superätzend ist. Man muss diesen Motorradfreaks schon was Superätzendes vor den Latz knallen, sonst checken die’s nicht.«
»Ich hab ihnen gesagt, ich würd lieber auf ner Sau reiten als auf nem Schwein.
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