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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Haut stecken…«
    »Wissen Sie eigentlich, warum ich einen Block gegen dieses Zeug habe?«, unterbrach ihn Arctor. »Weil es genau das ist, was die Leute zu den Drogen treibt.« Und er dachte: Der Grund dafür, dass man auf alles pfeift und ein Doper wird, warum man einfach alles aufgibt und angewidert das Weite sucht.
    Dann jedoch ließ er seinen Blick einmal mehr über das Publikum schweifen und begriff, dass das auf diese Menschen dort unten nicht zutraf. Nur so konnte man sie überhaupt erreichen, diese Versammlung von Ignoranten, die in emotionaler Hinsicht so debil waren, dass man ihnen alles so erklären musste, wie es in der Grundschule üblich war: A steht für Apfel und der Apfel ist rund.
    »T«, sagte er also laut zu seinen Zuhörern, »steht für Substanz T. Und zugleich für Torheit und Trostlosigkeit und Trennung – Trennung deswegen, weil Substanz T dich von allen anderen Menschen, selbst von deinen besten Freunden, trennt und in einen Kosmos aus Isolation und Einsamkeit und Hass und Misstrauen stößt. T steht schließlich für Tod. Langsamer Tod, wie wir…« Er zögerte kurz. »… die Doper es nennen. Langsamer Tod. Vom Kopf an abwärts… Das wär’s dann.« Er ging zu seinem Stuhl zurück und setzte sich.
    »Sie haben alles vermasselt«, knarzte sein Vorgesetzter, der Souffleur. »Ich erwarte Sie in meinem Büro. Sofort, wenn Sie zurückkommen. Zimmer 430.«
    »Ja«, erwiderte Arctor. »Ich hab’s vermasselt.«
    Die Zuhörer blickten ihn an, als hätte er vor ihren Augen auf die Bühne gepisst. Aber Arctor war sich nicht sicher, was diese Blicke eigentlich bedeuteten.
    Der Versammlungsleiter stand auf und ging rasch zum Mikrophon: »Fred hat mich vor Beginn seines Vortrags darum gebeten, lediglich ein kurzes, einführendes Statement abzugeben und anstelle eines langen Referats lieber während der Diskussion ausführlich auf Ihre Fragen einzugehen. Nun« – er hob eine Hand – »gibt es Fragen?«
    In diesem Moment kam Arctor noch einmal ungeschickt auf die Füße.
    Der Versammlungsleiter nickte ihm zu. »Offenbar möchte Fred seinen Ausführungen doch noch etwas hinzufügen.«
    Langsam und mit gesenktem Kopf schlurfte Arctor zum Mikrophon zurück und sagte: »Nur eines noch. Geben Sie ihnen keinen Tritt in den Arsch, wenn sie erst einmal an der Nadel hängen. Den Süchtigen, meine ich. Die Hälfte von ihnen, eigentlich fast alle, besonders die Mädchen, wussten nicht, worauf sie sich da einließen oder dass sie sich überhaupt auf etwas einließen. Versuchen Sie lieber, diese Menschen – uns alle – von der Nadel fern zu halten.« Er blickte kurz auf. »Verstehen Sie, die lösen ein paar Tabletten in einem Glas Wein auf – die Händler, die Pusher, meine ich –, und dann geben sie den Fusel einem Mädchen, das fast noch ein Kind ist, und in dem Glas sind acht oder zehn Tabletten und die Kleine wird bewusstlos. Und dann spritzen sie ihr einen Mex-Hit, zur Hälfte Heroin, zur Hälfte Substanz T… Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.« Er brach ab.
    Ein Zuhörer rief: »Wie können wir sie aufhalten, Sir?«
    »Tötet die Pusher«, sagte Arctor und ging zu seinem Stuhl zurück.
     
    Bob Arctor war nicht darauf erpicht, allzu schnell in die Zentrale zurückzukehren und sich in Zimmer 430 zu melden. Also spazierte er langsam eine der großen Einkaufsstraßen von Anaheim hinunter und sah sich die McDonald’s, die Autowaschanlagen, die Tankstellen, die Pizza Huts und all die anderen amerikanischen Wunder an.
    Immer, wenn er so wie jetzt ziellos dahinschlenderte und ihm dabei Leute aus allen Bevölkerungsschichten begegneten, verspürte er ein seltsames Gefühl – ein Unbehagen, das irgendwie mit seiner Identität zusammenhing. Wie er zu den Typen vom Lions Club gesagt hatte, sah er wie ein Doper aus, wenn er den Jedermann-Anzug ablegte. Er sprach wie ein Doper und die Menschen um ihn herum hielten ihn natürlich auch für einen Doper und reagierten dementsprechend. So warfen ihm andere Doper – man achte auf das Wort, dachte er, andere – einen ›Friede, Bruder‹-Blick zu. Die Spießer taten das nicht.
    Zieh dir eine Bischofssoutane an und setz dir eine Mitra auf, überlegte er, und spaziere darin herum – und die Leute werden ehrfürchtig das Haupt neigen, die Knie beugen und versuchen, deinen Ring zu küssen, wenn nicht sogar deinen Arsch. Und plötzlich bist du ein Bischof. Was ist das eigentlich: Identität? Wo endet die Vorstellung, die man gibt, die Rolle, die man spielt? Das

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