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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Fernsehanstalt rei-
    ßen würde. Das ist kein Leben, das irgend jemand, der noch bei Verstand ist …

    Dem Wurme gleich’ ich, der den Staub durchwühlt,
    Den, wie er sich im Staube nährend lebt,
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    Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.*

    Ja, das trifft es ganz genau, dachte er. Dieses Gedicht.
    Luckman muß es mir vorgelesen haben, oder vielleicht haben wir es mal in der Schule durchgenommen. Lustig, was da manchmal aus den Tiefen der Erinnerung wieder an die Oberfläche kommt. Was das Gehirn so alles speichert.
    Arctors verdrehte Worte wollten ihm nicht aus dem
    Kopf gehen, obwohl er doch das Band schon längst gestoppt hatte. Ich wünschte mir, ich könnte sie vergessen, dachte er. Ich wünschte mir, ich könnte – wenigstens für eine Zeitlang – ihn vergessen.
    »Irgendwie krieg’ ich das Gefühl«, sagte Fred, »daß ich manchmal weiß, was sie im nächsten Augenblick sagen werden. Noch bevor sie es aussprechen. Ihre genauen Worte.«
    »Das nennt man Déjà vu «, nickte einer der Jedermann-Anzüge. »Paß mal auf, ich will dir mal ‘n paar gute Tips geben. Spul das Band immer über einen längeren Auf-nahmezeitraumvor, also nicht nur eine Stunde sondern, sagen wir mal, sechs Stunden. Wenn sich da nichts Be-merkenswertes ereignet, dann spulst du es zurück, bis du auf etwas stößt. Rückwärts, verstehst du, statt vorwärts.
    Auf diese Weise kommst du nicht in ihren Rhythmus. Du schwimmst sozusagen gegen den Strom. Sechs oder sogar acht Stunden vorwärts, dann in großen Sprüngen zu-

    * Anm. d. Übers.: Im Gegensatz zu Kapitel XI, wo diese drei Gedichtzeilen im Original in Deutsch zitiert werden, steht hier im Original eine englische Übersetzung.
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    rück … Du wirst den Dreh bald raushaben und ein Ge-
    spür dafür kriegen, ob du nun Kilometer um Kilometer von diesem Nichts vor dir hast oder ob irgendwo was Verwertbares darunter ist.«
    »Und du wirst eigentlich gar nicht wirklich zuhören«, sagte der andere Jedermann-Anzug. »Bis du wirklich auf etwas stößt. Wie eine Mutter, wenn sie schläft – nichts macht sie wach, nicht einmal ein vorbeifahrender Lastwagen, bis sie ihr Baby weinen hört. Das weckt sie – das erregt ihre Aufmerksamkeit. Ganz egal, wie schwach das Weinen auch immer sein mag. Das Unterbewußtsein arbeitet selektiv, wenn es erst einmal gelernt hat, auf was es achten muß.«
    »Ich weiß«, sagte Fred. »Ich habe selbst zwei Kinder.«
    »Jungen?«
    »Mädchen«, sagte er. »Zwei kleine Mädchen.«
    »Ist ja suuuuper«, sagte einer der Jedermann-Anzüge.
    »Ich hab’ auch ein Mädchen, ein Jahr alt.«
    »Bitte keine Namen«, sagte der andere Jedermann-
    Anzug, und sie alle lachten. Ein bißchen.
    Jedenfalls, sagte Fred zu sich selbst, gibt es jetzt endlich etwas, das sich aus dem ganzen Zeug auf den Bändern auszusondern und weiterzuleiten lohnt. Diese kryptische Äußerung darüber, »sich als ein Rauschgift-Agent auszugeben«. Die anderen Männer bei Arctor im Haus –
    auch die hat diese Äußerung überrascht. Wenn ich morgen um drei rübergehe, werde ich eine Kopie davon mitnehmen – ein Band allein mit dem Ton müßte reichen –
    und das mal mit Hank durchdiskutieren. Das und alles andere, was ich bis morgen noch finde.
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    Aber selbst wenn das alles ist, was ich Hank vorlegen kann, dachte er, so ist es immerhin doch ein Anfang. Es zeigt, daß diese Rund-um-die-Uhr-Überwachung Arctors keine Verschwendung ist.
    Es zeigt, dachte er, daß ich recht hatte.
    Diese Bemerkung war ein Ausrutscher. Arctor hat sich verplappert.
    Was diese Äußerung allerdings bedeuten sollte, wußte er bisher noch nicht.
    Aber das, sagte er zu sich selbst, werden wir schon noch herausfinden. Wir werden so lange an Bob Arctor dranbleiben, bis er reif ist. Auch wenn es noch so uner-quicklich ist, ihm und seinen Kumpels die ganze Zeit über zusehen und zuhören zu müssen. Diese Kumpels
    von ihm, dachte er, sind genauso schlimm wie er selbst.
    Wie habe ich es bloß jemals aushalten können, die ganze Zeit über mit denen allen in diesem Haus rumzuhängen?
    Was für eine Art, sein Leben zu verbringen; was für ein, wie der andere Beamte es genannt hatte, endloses Nichts.
    Ganz tief unten, dachte er, in der Motsche, der Motsche ihres Gehirns und der Motsche, die sie von außen umgibt; überall nichts als Motsche. Und das liegt nur an ihnen selbst – daran, was für eine Art von Individuen sie sind.
    Er steckte seine Zigaretten ein und ging zurück in den Waschraum, verriegelte die

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