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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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daß ich gar nicht mehr fähig war, was anderes anzustellen; ich hab’
    außer dem Stoff gar nichts anderes mehr wahrgenom-
    men. Jetzt bin ich davon runter und aus dem Knast raus und lebe hier. Weißt du, was mir am meisten auffällt?
    Weißt du, was der Unterschied ist, den ich bemerkt hab’?
    Jetzt kann ich die Straße entlanggehen und etwas sehen.
    Ich kann das Wasser hören, wenn wir in den Wald fahren
    – du wirst unsere anderen Einrichtungen später kennenlernen, die Farmen und das alles. Ich kann die Straße entlanggehen und die Hunde und Katzen sehen. Ich hab’ sie früher nicht mal bemerkt. Alles, was ich gesehen hab’, war der Stoff.« Er blickte auf seine Armbanduhr. »Und darum verstehe ich, wie du dich fühlst.«
    »Es ist hart«, sagte Bruce, »von dem Zeug runterzu-
    kommen.«
    »Jeder einzelne hier ist davon runtergekommen. Na-
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    türlich fangen einige hinterher wieder damit an. Wenn du von hier weggehen würdest, würdest du auch wieder damit anfangen. Du weißt das.«
    Er nickte.
    »Keiner von denen, die in diesem Heim sind, hat ein leichtes Leben gehabt. Ich will damit nicht sagen, daß dein Leben leicht gewesen ist. Eddie würde das vielleicht sagen. Er würde dir knallhart erklären, deine Probleme seien läppisch. Aber Probleme sind nie läppisch, bei keinem. Ich sehe, wie mies du dich fühlst, aber ich hab’
    mich auch mal so gefühlt. Jetzt geht’s mir ‘ne ganze Menge besser. Wer ist dein Stubenkamerad?«
    »John.«
    »Ah ja, John. Dann bist du also unten im Erdge-
    schoß.«
    »Mir gefällt es«, sagte er.
    »Ja, es ist schön warm da. Du wirst wahrscheinlich
    sehr viel frieren. Die meisten von uns tun das, und ich erinnere mich noch gut dran, wie’s bei mir war; ich hab’
    die ganze Zeit über vor Kälte gezittert, und die Hosen hab’ ich mir auch vollgeschissen. Aber glaub mir, du wirst das nicht noch einmal durchmachen müssen, wenn du hier im Neuen Pfad bleibst.«
    »Für wie lange?« sagte er.
    »Für den Rest deines Lebens.«
    Bruce hob den Kopf.
    »Ich kann hier jedenfalls nicht mehr raus«, sagte Mi-ke. »Ich würde sofort wieder an der Nadel hängen, wenn ich wieder nach draußen ginge. Ich hab’ zu viele Kumpels draußen. Ich würd’ wieder in die Scene einsteigen, 422
    dealen und schießen, und dann zurück in den Knast wandern, aber diesmal für zwanzig Jahre. Weißt du – hey –
    ich bin jetzt 35 und heirate demnächst zum ersten Mal.
    Hast du Laura schon kennengelernt? Meine Verlobte?«
    Er war sich nicht sicher.
    »Ein hübsches Mädchen, ziemlich stämmig? Ganz
    hübsche Figur?«
    Er nickte.
    »Sie fürchtet sich davor, aus dem Heim zu gehen. Irgendwer muß sie immer begleiten. Wir gehen jetzt bald mal zusammen in den Zoo … wir nehmen den Kurzen
    vom Direktor nächste Woche mit in den Zoo von San
    Diego, und Laura hat jetzt schon ‘n höllischen Bammel.
    Mehr Bammel als ich.«
    Schweigen.
    »Hast du überhaupt gehört, was ich gesagt hab’?« sag-te Mike. »Daß ich Bammel hab’, in den Zoo zu gehen?«
    »Ja.«
    »Ich bin noch nie in einem Zoo gewesen, jedenfalls
    könnt’ ich mich nicht dran erinnern«, sagte Mike. »Was macht man eigentlich in so einem Zoo? Vielleicht weißt du’s?«
    »Man schaut in verschiedene Käfige und Freigehege
    hinein.«
    »Was für Tierarten gibt’s denn da so?«
    »Alle möglichen.«
    »Wilde Tiere, denk’ ich mir. Normalerweise wilde
    Tiere. Und exotische.«
    »Im Zoo von San Diego haben sie fast alle wilden Tie-re«, sagte Bruce.
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    »Die haben auch einen von diesen … wie heißen die
    doch gleich? Koalabären?«
    »Ja.«
    »Ich hab’ mal einen Werbespot im Fernsehen gese-
    hen«, sagte Mike. »Da kam ein Koalabär drin vor. Die hüpfen. Irgendwie erinnern die mich an ein ausgestopftes Spielzeug.«
    Bruce sagte: »Die Leute, die in den zwanziger Jahren den guten alten Teddybären erfunden haben – den, mit dem die Kinder spielen –, haben den Koalabären als
    Vorbild genommen.«
    »Ach, wirklich? Ich hatte immer geglaubt, man müßte nach Australien fahren, um einen Koalabären zu sehen.
    Oder sind die da jetzt ausgestorben?«
    »In Australien gibt’s sie in rauhen Mengen«, sagte
    Bruce, »aber die Ausfuhr ist verboten. Egal, ob von lebenden Tieren oder von Fellen. Sie wären früher mal fast ausgerottet worden.«
    »Ich bin nie weit rumgekommen«, sagte Mike, »außer, wenn ich Stoff von Mexiko rauf nach Vancouver in Bri-tisch Kolumbien transportiert hab’. Aber ich hab’ immer die gleiche Route

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