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Der dunkle Schirm

Der dunkle Schirm

Titel: Der dunkle Schirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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sonst.«
    »Wissen Sie, wie sie an die Nadel gekommen ist? Ihre Brüder, beides übrigens Dealer, sind eines Nachts in ihr Schlafzimmer gegangen, haben sie festgehalten und dann vollgeschossen. Anschließend haben sie sie noch durch-gebumst. Beide.
    Vermutlich, um sie schon mal so richtig auf ihr neues Leben einzustimmen. Die Kleine ging mehrere Monate
    lang auf den Strich, bevor wir sie schnappten.«
    »Und ihre Brüder?« Fred dachte daran, daß sie ihm vielleicht irgendwann einmal über den Weg laufen würden.
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    »Die sitzen jetzt sechs Monate wegen Rauschgiftbesitz ab. Die Kleine hat sich auf dem Strich den Tripper geholt, ohne es überhaupt zu merken. Darum hat er sich in ihr hochgefressen … na ja, Sie wissen ja, wie das bei Tripper so geht. Ihre Brüder fanden das lustig.«
    »Nette Jungs«, sagte Fred.
    »Ich will Ihnen mal ‘ne Geschichte erzählen, die Ihnen bestimmt an die Nieren geht. Sie erinnern sich doch noch an die drei Babys drüben im Fairfield-Krankenhaus, denen sie jeden Tag eine Dosis H geben müssen, weil sie noch zu klein sind, um einen Entzug durchstehen zu können? Tja, und eine Krankenschwester hat versucht –«
    »Sie haben recht. Das geht mir an die Nieren«, sagte Fred mit seiner monotonen Maschinenstimme. »Ich habe genug gehört, danke.«
    Hank fuhr fort: »Wenn man sich überlegt, daß neuge-
    borene Babys heroinsüchtig sind, weil –«
    »Danke«, wiederholte der vage Fleck, der Fred ge-
    nannt wurde.
    »Was sollte man Ihrer Meinung nach mit einer Mutter tun, die einem neugeborenen Baby eine Fixe mit Heroin setzt, um es ruhigzuhalten, damit es nicht mehr weint?
    Sie eine Nacht lang ins Distriktgefängnis sperren?«
    »Etwas in der Art«, sagte Fred tonlos. »Vielleicht ein Wochenende lang, wie’s mit den Säufern gemacht wird.
    Manchmal wünsche ich mir, daß ich wüßte, wie man vor Wut durchdreht. Ich hab’ vergessen, wie das geht.«
    »Ja, das ist eine verlorengegangene Kunst«, sagte
    Hank. »Vielleicht existiert irgendwo ein Handbuch dafür.
    »So um 1970 rum gab’s mal einen Streifen«, sagte
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    Fred, » The French Connection, der handelte von einem Zwei-Mann-Team vom Rauschgiftdezernat. Als die sich mal selbst einen Schuß H setzten, klinkte der eine davon total aus und erschoß jeden, der ihm vor die Flinte kam, seine Vorgesetzten eingeschlossen. Dem Typen war inzwischen alles ganz egal.
    »Dann ist es vielleicht gar nicht so schlecht, daß Sie nicht wissen, wer ich bin«, sagte Hank. »Sie könnten mich höchstens rein zufällig erwischen. «
    »Irgend jemand«, sagte Fred, »wird uns sowieso alle irgendwann einmal erwischen.«
    »Und das wird für uns alle eine Erlösung sein. Eine wirkliche Erlösung.« Hank wühlte sich noch tiefer in den Stapel mit Aufzeichnungen. »Jerry Fabin. Den können wir wohl endgültig von der Liste streichen. Spezialklinik.
    Die Jungs unten im Büro sagen, Fabin habe den zuständigen Beamten auf der Fahrt zur Klinik erzählt, ein ange-heuerter Killer – ein kleines Männchen ohne Beine, so ungefähr neunzig Zentimeter groß – sei Tag und Nacht auf einem Wägelchen hinter ihm hergerollt. Aber er hätte niemandem was davon erzählt, weil ihn sonst bestimmt alle für übergeschnappt gehalten hätten und sich schleu-nigst aus dem Staub gemacht hätten, und dann hätte er ja gar keine Freunde mehr gehabt, niemanden, mit dem er sprechen könnte.«
    »Ja«, sagte Fred stoisch. »Fabian ist weg vom Fenster.
    Ich habe die EEG-Analyse aus der Klinik gelesen. Den können wir vergessen.«
    Immer, wenn er Hank so gegenübersaß und seine
    Rapportnummer abzog, beobachtete er eine tiefgreifende 98
    Verwandlung seines innersten Selbst. Normalerweise
    wurde ihm diese Verwandlung erst nach der Sitzung be-wußt, obwohl er schon während des Rapports selbst spür-te, daß er aus irgendeinem Grund eine geschäftsmäßige und unbeteiligte Haltung einnahm. Ganz gleich, was in diesem Raum besprochen wurde und um wen sich das
    Gespräch auch immer drehen mochte – all das hatte für ihn während dieser Sitzungen keinerlei gefühlsmäßige Bedeutung.
    Zuerst hatte er geglaubt, das rühre von den Jedermann-Anzügen her, die sie beide trugen; sie konnten beide die körperliche Nähe ihres jeweiligen Gegenüber nicht spüren.
    Später kam er jedoch zu dem Schluß, daß es letztlich keinen Unterschied machte, ob sie die Anzüge trugen oder nicht; die Veränderung lag in der Situation selbst begründet. Aus beruflichen Gründen spielte Hank absichtlich die

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