Der dunkle Schirm
vorbei gewesen. Game over.
Einer mehr in einer langen Reihe von Gehirngeschä-
digten, eine weitere traurige Existenz wie so viele andere vor ihm. Völlig debil. Das biologische Leben geht weiter, dachte Arctor, aber die Seele, der Verstand – das ist alles tot. Was bleibt, ist eine Reflexmaschine. Wie irgendein Insekt, verdammt dazu, düstere Verhaltensmuster zu
wiederholen. Ein einziges Verhaltensmuster, wieder und wieder. Ob dieses Muster nun angemessen ist oder nicht.
Möchte wissen, wie er früher war, grübelte er. Er hatte Jerry noch nicht sehr lange gekannt. Charles Freck behauptete, daß Jerry früher mal ziemlich gut funktioniert habe. Das hätte ich mit meinen eigenen Augen sehen
müssen, um es zu glauben, dachte Arctor.
Vielleicht sollte ich Hank von der Sabotage meines
Cephskops erzählen, dachte er. Sie würden auf der Stelle wissen, wer und was dahintersteckt. Aber was können sie überhaupt für mich tun? Das ist nun mal das Risiko, das man eingeht, wenn man diese Art Arbeit macht.
Und sie ist das nicht wert, diese Arbeit, dachte er. So viel Geld gibt es auf dem ganzen beschissenen Planeten 114
nicht. Aber er tat diese Arbeit sowieso nicht des Geldes wegen. »Und warum tun Sie’s eigentlich dann?« hatte Hank ihn gefragt. Aber was wußte denn ein Mann –
gleich, welche Art von Arbeit er tat – schon über seine tatsächlichen Motive? Langeweile, vielleicht; die Sehn-sucht nach ein bißchen Action. Oder eine unterschwellige Feindseligkeit gegenüber den Menschen, die einen um-gaben, gegenüber allen seinen Freunden und sogar den Puppen. Oder es mochte eine positive Motivation sein, die das Ergebnis einer schrecklichen persönlichen Erfahrung war. Vielleicht kannte man ein menschliches Wesen, das man aus ganzem Herzen liebte, dem man wirklich nahegekommen war, das man im Arm gehalten und
mit dem man geschlafen hatte, das man geküßt und um das man sich gesorgt hatte, das man als Freund behandelt und vor allem bewundert hatte – und dann mußte man mit ansehen, wie diese warme, lebendige Person innerlich ausbrannte, vom Herzen an nach außen verbrannte.
Bis sie klickt und klackt wie ein Insekt. Wieder und wieder den gleichen Satz wiederholt. Eine Bandaufnahme.
Eine Endlosschleife.
»… wenn ich bloß noch einen einzigen Schuß haben
könnte …«
Keine Probleme mehr, dachte er. Drei Viertel des Gehirns Brei, und immer wieder dieser eine Satz. Wie bei Jerry Fabin.
»… wenn ich bloß noch einen einzigen Schuß haben
könnte, würde mein Gehirn ganz bestimmt von selbst
wieder in Ordnung kommen. «
Dann hatte er eine Vision – Jerry Fabins Gehirn als die 115
ruinierte Verkabelung des Cephalochromoskops, mit zer-schnittenen Drähten, Kurzschlüssen, herausgerissenen Leitungen, überladenen und zu undefinierbaren Klumpen zusammengeschmolzenen Kondensatoren, verschmorten
Kontakten, beißendem Qualm und einem widerwärtigen
Geruch. Und da sitzt jemand mit einem Voltmeter, mißt die Stromkreise durch und murmelt düster: »O weh, o weh! Eine Menge Widerstände und Transistoren müssen ersetzt werden« und so weiter. Und dann würde von Jerry Fabin nur ein mattes Summen kommen, und sie würden
aufgeben.
Und in Bob Arctors Wohnzimmer würde ein Tausend-
Dollar-Qualitäts-Cephskop, eine Maßanfertigung der Firma Altec, das nun angeblich wieder repariert war, eine Schrift in fahlem Grau auf einen winzigen Fleck an der Wand werfen:
WENN ICH BLOSS NOCH EINEN EINZIGEN
SCHUSS HABEN KÖNNTE …
Danach würden sie das Cephskop, das irreparabel be-
schädigt war, und Jerry Fabin, der irreparabel beschädigt war, in denselben Abfalleimer werfen.
Nun ja, dachte Arctor. Wer braucht Jerry Fabin? Au-
ßer vielleicht Jerry Fabin selbst, der einmal davon ge-träumt hatte, als Geschenk für einen Freund ein drei Meter langes Konsolensystem mit einer Quadrophonieanla-ge und einem Fernseher darin zu entwerfen und zu bau-en. Und als man ihn gefragt hatte, wie er es von seiner Garage zum Haus seines Freundes transportieren wollte, 116
wo es doch nach der Fertigstellung so groß sein und so viel wiegen würde, da hatte er erwidert: »Überhaupt kein Problem, Mann! Ich werde es einfach zusammenklappen
– hier, ich habe die Scharniere schon gekauft – ich werd’s also zusammenklappen, verstehst du, das ganze Ding zusammenklappen, es in einen Briefumschlag stek-ken und es ihm per Post schicken.«
Jedenfalls, dachte Bob Arctor, müssen wir jetzt wenigstens nicht dauernd Blattläuse aus dem
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