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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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hochgezogenen Brauen zeigten, dass er früher einmal schwarzhaarig gewesen sein musste. In sein Gesicht hatten sich Falten eingekerbt, doch es wirkte nicht alt, sondern nur gereift und strahlte Willensstärke aus. Aber weder seine kühlen grauen Augen noch seine Miene verrieten etwas. Er war braun gebrannt, ein Zeichen dafür, dass er seine Zeit nicht hauptsächlich über den Büchern verbrachte. Und auch seine aufrechte straffe Gestalt unterschied ihn von den oftmals recht beleibten Mitgliedern seines Ordens. Ein Mann der Tat, schloss Almut für sich. Und gefährlich.
    »Nach der Messe. Soso. Der Messe habt Ihr auch beigewohnt?«
    Almut schluckte. Das konnte problematisch werden. Es war nicht auszuschließen, dass Pater Ivo von den Ereignissen am vergangenen Sonntag gehört hatte.
    »Selbstverständlich besuchen wir die Messe, Pater.«
    »In St. Brigiden vielleicht?«
    »Warum interessiert es Euch, welche Kirche wir besuchen!«, fragte Almut patzig zurück.
    »Weil mein Kloster diese Pfarrkirche betreut und ich von einem Zwischenfall informiert worden bin.«
    »Ihr gehört zu Groß St. Martin?«
    »In der Tat. Und – habt Ihr die Messe in St. Brigiden besucht, Begine?«
    »Seit unser zuständiger Priester es vorgezogen hat, mit dem Erzbischof nach Bonn zu gehen, sind wir genötigt, dem Gottesdienst in Eurer Pfarrkirche beizuwohnen.«
    »Er findet nicht Euren Beifall, habe ich den Eindruck.«
    »Ein Urteil darüber steht mir nicht zu«, sagte Almut und scheuchte mit dem Fuß ein Huhn zur Seite.
    »Eine kluge Einsicht.«
    Almut sah nicht zu dem Benediktiner hin, sondern bemühte sich, ihren aufsteigenden Unmut zu bändigen. Nachdem ihr das einigermaßen gelungen war, setzte sie ein unverbindliches Lächeln auf und blickte wieder hoch. Etwas verblüfft stellte sie fest, dass Pater Ivo sich gegen die Mauer lehnte und sein Gesicht blass unter der Bräune geworden war. Es flog sie ein leichtes Mitgefühl an, denn es war heiß geworden in der brennenden Nachmittagssonne. Obwohl ihr der Mönch und seine Absichten nicht geheuer waren, lud sie ihn höflich ein: »Wenn Ihr noch mehr Fragen habt, dann lasst uns in das Refektorium gehen. Dort ist es kühler als hier im Hof. Und ein Schluck Apfelwein wird Euch auch nicht schaden. Folgt mir bitte, Pater.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Almut voran und öffnete die Tür zum Haupthaus. Der Raum wirkte dunkel gegen das gleißende Licht des Sommertages, vor den Fenstern waren die Läden zugezogen, und Almut öffnete sie, damit es etwas heller wurde. Dann sah sie sich nebenan in der Küche nach einem Krug Apfelwein und zwei irdenen Bechern um. Als sie zurückkam, saß der Mönch auf der Bank an dem langen Tisch und stützte seinen Ellenbogen auf. Mit den Handballen rieb er sich die Augen, als ob sie schmerzten.
    »Hier, nehmt einen Schluck, Pater Ivo.«
    »Danke, Begine.«
    Er trank langsam, stellte dann den Becher ab und sah schon wieder etwas erholter aus.
    »Es ergab sich heute noch keine Möglichkeit, ein Mahl einzunehmen.«
    »Dann mögt Ihr vielleicht ein wenig Brot und Butter zu Euch nehmen?«
    »Ihr seid sehr gastfreundlich.«
    »Das sind wir zu jedem, der hungernd an unsere Pforte klopft.«
    Almut stellte einen Korb mit Brot und den Topf mit Butter vor ihn hin. Vielleicht lenkt ihn die Fürsorge ja von seinen inquisitorischen Fragen ab, dachte sie bei sich, aber darin musste sie sich enttäuscht sehen. Pater Ivo aß nur wenige Bissen, dann stellte er die nächste Frage.
    »Um noch einmal darauf zurückzukommen – Ihr habt die Messe am Sonntag in St. Brigiden besucht und, wie ich vermute, nicht zufrieden stellend gefunden. Bruder Notker wurde äußerst unbotmäßig in seiner Predigt unterbrochen…«
    »Bruder Notker hat sich höchst unbotmäßig über uns geäußert!«
    »Wen meint Ihr damit? Hat er sich über Eure Gruppe im Besonderen geäußert?«
    »Über uns Frauen!«, knirschte Almut und vergaß all ihre guten Vorsätze von Geduld und Demut.
    »Etwa dergestalt, dass auch Frauen, die züchtig wie die Nonnen gekleidet sind, häufig ihren Trieben freien Lauf lassen?«
    »Das und viele andere Beleidigungen mehr!«
    »Ob das Beleidigungen oder schlichte Wahrheiten sind, mag mal dahingestellt sein. Ist das ein Grund, auf blasphemische Weise die Bibel zu zitieren?«
    »Er tat das Gleiche!«
    »Ihr seid ja sehr belesen in der Heiligen Schrift, wenn Ihr das beurteilen könnt. Woher habt Ihr Eure Kenntnisse?«
    Das war gefährliches Terrain, und Almut wusste es nur zu gut.

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