Der dunkle Spiegel
die beiden in irgendeiner Form miteinander verwandt?«
»Nein, ich glaube nicht. Er ist der Sohn eines Handelspartners gewesen.«
»Nun, das ist ja schon Erklärung genug, denke ich. Es ist ihm sicher entsetzlich unangenehm, dass der Junge in seinem Haus, in seiner Obhut gestorben ist. Er hatte ja die Verantwortung für ihn übernommen.«
Thea nickte: »Das könnte zutreffen. Ich werde heute Morgen noch einmal bei ihnen vorsprechen und meine Hilfe anbieten. Vielleicht sieht er die Angelegenheit ja inzwischen mit nüchternerem Blick. Wenn nicht, wissen wir wenigstens, womit wir zu rechnen haben.«
»Tu das, Thea, und wenn es möglich ist, bring den Rest der Arznei wieder mit«, schlug Almut vor. »Ich werde mich besser nicht dort sehen lassen.«
»Clara wird dich begleiten.«
»Sie wird sich den Finger brechen, wie du weißt. Ich nehme lieber Trine mit, sie kann besser zupacken.«
Es war wieder ein heißer, trockener Tag, und Almut stellte am Nachmittag fest, dass sie sich als Einzige noch im Hof aufhielt. Alle anderen waren in irgendwelchen Geschäften unterwegs. Sogar das Häuschen der Pförtnerinnen neben dem Tor zur Straße stand verwaist, denn sowohl Mettel als auch Bela waren unterwegs, um auf dem Markt ein paar Hühner zu kaufen. Die beiden waren die schlichtesten Gemüter unter den Beginen, Witwen aus kleinen Handwerkerfamilien, die außer ihrer Arbeitskraft nicht viel Kapital mit eingebracht hatten. Sie hatten zuvor ihr Leben als schweifende Beginen bettelnd auf dem Land verbracht, bis sie in einem strengen Winter Unterschlupf im Konvent gesucht hatten. Das sesshafte Leben hatte ihnen gefallen, den ansässigen Beginen hatten sie sich mit ihrem Fleiß und Arbeitseifer angenehm gemacht, und so wurden sie im darauf folgenden Frühjahr als Mitglieder in die Gemeinschaft aufgenommen. Jetzt kümmerten sie sich um das Kleinvieh, versahen abwechselnd die Pförtnerdienste und scheuten sich auch nicht, Almut bei der schweren Arbeit am neuen Stall zu helfen. Auf diese Hilfe musste sie allerdings jetzt verzichten. Aber sie arbeitete genauso gerne alleine an dem Bauwerk. Um ihre Tracht zu schonen, zog sie einen alten Kittel über. Das straff gebundene Gebände legte sie ab, wandt sich stattdessen lose ein Tuch um den Kopf und begann mit ihrer Arbeit. Es lagen noch eine Menge Bruchsteine bereit, aus denen sie sich die passenden heraussuchte. Aus dem Brunnen schöpfte sie ein paar Eimer Wasser, um den Mörtel anzurühren. Dann machte sie sich daran, die bislang erst schulterhohe Mauer des neuen Stalls weiterzubauen. Sie war so vertieft in ihre anstrengende Arbeit, dass sie das Klopfen am Tor völlig überhörte. Sie bemerkte den Eindringling erst, als sie von einer tiefen männlichen Stimme angesprochen wurde.
»Lasst Ihr das Tor immer unverschlossen, Begine?«
Abrupt drehte sich Almut um und wäre beinahe von dem wackeligen Holzgestell gefallen, auf dem sie mit hochgestecktem Rock und bloßen Beinen gearbeitet hatte.
»Dringt Ihr in jede Behausung ohne Anmeldung ein, Bruder?«, fauchte sie die schwarz gewandete Gestalt an. Doch in diesem Moment erkannte sie, wer der Mönch war, der da seinen drohenden Schatten über sie warf. Sie sandte einen leisen Stoßseufzer zu Maria und senkte achtungsvoll das Haupt.
»Verzeiht, Pater Ivo, ich erkannte Euch nicht!«
»Nun, ich hätte Euch auch beinahe nicht als Begine erkannt. Bedeckt Euch, und führt mich dann zu Eurer Meisterin.«
Hastig zerrte Almut an dem Kittel, der ihre Beine bis zu den Knien freigab, und strich auch die aufgerollten Ärmel nach unten.
»Unsere Meisterin ist derzeit außer Haus. Kann ich Euch vielleicht mit Auskunft dienen?«
»Möglicherweise. Ihr seid doch die Begine, die ich im Haus des Weinhändlers angetroffen habe, nicht wahr?«
»Gestern, ja.«
»Wart Ihr zuvor auch schon dort?«
»Am Sonntag, nach der Messe.«
Almut war etwas beklommen zumute, und sie wünschte sich von Herzen Magda herbei. Die Meisterin hatte eine geschicktere Art, mit derartigen Situationen fertig zu werden. Bislang hatte sie noch alle Anschuldigungen seitens des Klerus abwiegeln können. Aber sie war nun mal nicht hier, und Almut hoffte inständig, nicht irgendeine falsche Bemerkung zu machen. Sie musterte den hochgewachsenen Benediktiner genau, um etwas über seine Absichten herauszufinden. Er mochte Anfang oder Mitte der Vierzig sein, vermutete sie. Sein Haarkranz war grau, doch einzelne Strähnen in seinem kurz geschnittenen Bart und auch seine jetzt hakenförmig
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