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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Es wurde allgemein von der Geistlichkeit nicht gerne gesehen, wenn jemand außer ihnen selbst die Bibel las. Dass Frauen sie obendrein noch übersetzten und sich mit den Texten inhaltlich auseinander setzten, das hatte durchaus den Ruch der Ketzerei. Denn damit war der Kritik an der Priesterschaft, die ihre eigenen, nützlichen Interpretationen von Gottes Wort verbreitete, Tür und Tor geöffnet.
    »Wir sind eben gebildete, fromme Wesen, Pater Ivo. Ist es verboten, in der Bibel zu lesen? Wurde dieses Buch nicht den Menschen genau deswegen gegeben?«
    »Ein Buch ist wie ein Spiegel – wenn ein Affe hineinsieht, so kann kein Apostel herausgucken!«
    Almut merkte, wie sich ihr Gesicht rötete, und wieder erhielt Maria einen schier verzweifelten Hilferuf um Besonnenheit von ihr. Sie hätte besser daran getan, dem Benediktiner in die Augen zu sehen, denn dort hätte sie das unheilige Aufblitzen größten Amüsements wahrgenommen.
    »Ich wage nicht, Eure Weisheit in diesen Dingen anzuzweifeln, Pater Ivo. Vor allem nicht, seit ich Bruder Notker kenne. Ihr stellt ihn sicher gleich neben die heiligen Apostel in Eurem Kloster.«
    »Wir hatten für ihn auch schon mal an den Stall gedacht. Aber, Begine, wie schon der heilige Franziskus lehrte: ›Gott wünscht, dass wir den Tieren beistehen sollen‹. Und ihnen nicht den Messwein vergiften. Das war, wie Ihr selbst zugeben müsst, ein besonders übler Streich. Und auch ein gefährlicher, möchte ich hinzufügen!«
    »Was?«
    »Und Eure Bemerkung – und inzwischen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Ihr selbst die Unruhestifterin wart –über das Essen und Trinken beim Abendmahl ist von sehr vielen Gläubigen vernommen worden.«
    »Ich habe nie…«
    »Begine, Ihr habt! Ich will Euch aus den Einwürfen zur Predigt keinen Vorwurf machen. Bruder Notker hat inzwischen eingesehen, dass sein Thema schlecht gewählt war. Er verbringt jetzt einige Zeit damit, ein paar passendere Stellen aus der Bibel zu kopieren.«
    »So hat Bruder Notker keinen Schaden gelitten?«
    »Keinen körperlichen. Dennoch, der Streich mit dem Wein wird Folgen für Euch haben!«
    Almut schüttelte den Kopf. Sie selbst war am Sonntag genauso überrascht wie alle anderen gewesen, als der Priester den Messwein ausspuckte, aber sie konnte natürlich nicht für jede ihrer Mitschwestern die Hand ins Feuer legen. Wer konnte schon wissen, ob nicht eine von ihnen die Möglichkeit gefunden hatte, irgendetwas Ätzendes oder Giftiges in den Wein zu schmuggeln. Die Mittel dazu waren in Elsas Apotheke reichlich vorhanden. Aber die Vorstellung erschien ihr absurd.
    »Pater Ivo, Ihr mögt uns für schändliche Frauenzimmer halten, aber ich bin sicher, es wird eine andere Erklärung für den ungenießbaren Wein geben. Könnt Ihr Euch für jeden Eurer Brüder oder Novizen verbürgen?«
    Der Mönch war inzwischen aufgestanden und ging den langen Tisch entlang zum Fenster. Neugierig blieb er an Claras Platz stehen und betrachtete etwas, das dort achtlos auf der Bank liegen gelassen worden war.
    »Nein, das kann ich nicht, Begine. Aber Ihr versteht, dass die Umstände stark dafür sprechen, dass es Euer Werk war? In meinen Augen und auch in den Augen anderer.«
    »Verurteilt Ihr immer nach dem ersten Augenschein?«
    Almut wunderte sich darüber, dass der Benediktiner innehielt und sie nachdenklich musterte.
    »Eine interessante Frage, die Ihr da stellt. Nein, das tue ich nicht. Aber die Welt tut es häufig. Das sollte auch Euch trotz Eurer Jugend nicht verborgen geblieben sein. Und das hier, Begine, ist nach dem ersten Augenschein etwas, das Euch einen noch größeren Ärger einhandeln kann.«
    Er hielt ein Buch hoch und zeigte es Almut. Sie erkannte es sofort, es war eine von Claras neuesten Erwerbungen. Sie selbst hatte noch nicht die Gelegenheit gehabt, hineinzuschauen oder mit ihrer Freundin darüber zu sprechen.
    »›Der Spiegel der einfachen Seele‹«, entzifferte sie. »Warum sollte er uns Ärger einhandeln? Es wird ein Werk mit erbaulichen Texten sein.«
    »Das mag sein, doch die Verfasserin wurde vor noch nicht ganz siebzig Jahren auf dem Scheiterhaufen mitsamt ihren Büchern verbrannt. Sie war eine der Euren, Begine. Margarete Porete hieß sie, und man nannte sie eine Ketzerin. In der Tat sind manche ihrer Ansichten sehr schädlich für die einfachen Seelen!«
    »Dann wundert es mich, dass Ihr sie kennt. Oder können solche Ansichten Eurer Seele nicht schaden?«
    »Ich bin ein Mann, kein schwaches Weib.«
    »Und Eure

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