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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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noch eines Eurer ketzerischen Geheimnisse?«
    »Nein. Aber ich werde sie behalten!«
    »Selbstverständlich. Aber lasst sie mich einmal näher betrachten.«
    Sehr zögernd gab Almut sie dem Pater in die Hand und erzählte: »Es war Anfang des Jahres, da ist unser alter Stall zusammengebrochen. Er war morsch und baufällig, schlecht zusammengezimmert und wackelig. Dann kam dieser Erdstoß, und er brach endgültig zusammen. Na ja, ich dachte, ich könnte einen besseren Stall bauen, vor allem weil wir da so einen Haufen alter Steine unter den Trümmern gefunden hatten. Es hat nur das Bauholz und ein bisschen Mörtel gekostet, und darum war die Meisterin einverstanden. Ich habe den Schutt abgetragen und die guten Steine herausgesucht. Manche von ihnen waren sogar sorgfältig behauen. Es muss früher einmal ein Haus dort gestanden haben. Jedenfalls fand ich unter all dem Durcheinander diese Figur hier, und es schien mir ein gutes Zeichen, dass Maria schon früher über diesen Ort wachte. Ich dachte nur, sie ist so eine kleine Figur und so wenig prächtig, es würde nichts ausmachen, wenn ich sie für mich behielte. Oder hat die Kirche ein größeres Recht an ihr?«
    »Nein, bestimmt nicht. Ein altes Haus und sorgfältig behauene Steine, sagt Ihr? Begine, ich vermute, Ihr habt einen römischen Tempel unter Eurem Schweinestall gefunden.«
    »Einen römischen Tempel? Aber wie soll der denn hierher gekommen sein?«
    »Die Römer haben schon vor der Geburt unseres Herren lange in Köln geherrscht. Wenn man es genau nimmt, haben sie diese Stadt sogar gegründet.«
    »Meint Ihr wirklich die Römer? Aus Italien?«
    Almut, durchaus lebensklug und in ihren Grenzen auch gebildet, hatte sich mit geschichtlichen Zusammenhängen nie beschäftigt. Ihre Weltsicht dazu bezog sie aus der Bibel und einigen wenigen Erzählungen aus diesem Umfeld.
    »Dann waren es Heiden, die hier gelebt haben?«
    »So muss man sie wohl nennen, zumindest in der frühen Zeit.«
    »Und es war ein heidnischer Tempel, nicht wahr. Diese Figur ist gar nicht Maria, wollt Ihr damit sagen?«
    Entsetzt sah Almut die kleine Bronzestatue an.
    »Sagen wir mal so – es war ein Heiligtum, und hier wurde eine barmherzige, großmütige, heilige Mutter angebetet. Sie stammte ursprünglich aus Ägypten, doch die Römer liebten sie ebenfalls sehr und bauten ihr Tempel. Sie nannten sie Himmelskönigin. Sie grüßten sie als die Gebärerin des göttlichen Knaben. Sie riefen sie große Jungfrau und erste Mutter und Herrin über Licht und Flammen.«
    »Also kannten sie doch schon die heilige Maria?«
    »Begine, sie kannten sie, doch unter einem anderen Namen. Und darum könnt Ihr getrost dieses Bildnis behalten. Ich sehe eine derartige Statue nicht zum ersten Mal. In manch einer Kapelle steht sie und wird geehrt und geachtet. Doch damit niemand, vor allem nicht Bruder Johannes, an ihr Anstoß nehmen kann, werde ich eine kleine Veränderung an ihr vornehmen. Habt Ihr ein spitzes Messer oder eine Nadel für mich?«
    Almut nahm den Korb mit ihren Näharbeiten und zog eine Nadel hervor. Fasziniert beobachtete sie dann, wie Pater Ivo sich niedersetzte und vorsichtig in den eigenartigen Heiligenschein ihrer Maria ein Kreuz mit einem Strahlenkranz ritzte. Dann sprach er einen Segen über die Figur und schlug das Kreuzzeichen darüber.
    »Wenn irgendjemand Fragen zu diesem Marienbild stellt, dann verweist ihn an mich, Begine. Und Ihr selbst haltet sie in Ehren, achtet sie und vertraut ihr. Sie ist der Stern des Meeres und die Pforte des Himmels, unser Leben und unsere Wonne, die Mutter der Barmherzigkeit und die Krone des Himmels. Sie ist alles das, was Ihr sie in den Gebeten nennt, doch wenn Ihr in großer Not seid und ihre Hilfe benötigt, dann ruft sie auch mit ihrem alten Namen – Isis.«
    Staunend war Almut den Handlungen und Reden gefolgt und schüttelte nun leise lächelnd den Kopf.
    »Ihr seid ein seltsamer Priester, Pater Ivo.«
    »Ich bin nicht seltsamer als andere Menschen, die einiges von der Welt gesehen und ein paar Bücher gelesen haben. Und nun, mein Kind, kommen wir zu Eurer Beichte zurück. Bereut Ihr Eure unbedachten Worte?«
    »Aufrichtig und von ganzem Herzen – ja, Pater. Ich bereue zutiefst, dass ich damit die in Gefahr gebracht habe, mit denen ich zusammenlebe.«
    »Kniet nieder!«
    Almut kniete nieder und nahm die Buße auf sich.
    »Ich denke, zwanzig Alma Redemptoris und zwanzig Salve Regina sollten Euch auferlegt werden und – ach ja, eine Woche strengstes

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