Der dunkle Spiegel
sie nur zu und ließen sich nicht in ihrem Unterricht stören.
Almut öffnete die Tür zu ihrer Kammer und trat ein. Pater Ivo blieb an der Türschwelle stehen und besah sich den nüchternen Raum. Das Deckenlager, auf dem Trine genächtigt hatte, war fortgeräumt, nur Almuts schmales Bett stand an der Wand, die Laken sauber gefaltet. Ein Pult, eine Truhe, ein einfacher Stuhl und ein kleiner Tisch machten die ganze Einrichtung aus, aber ein bunter Flickenteppich und ein Blumenstrauß in einem tönernen Krug brachten Farbe in das weiß gekalkte Zimmerchen.
»Was ist es, das Ihr mir zeigen wollt?«
»Kommt her. Ich möchte nicht, dass jemand uns belauscht. Ich… ich habe ein schlechtes Gewissen deswegen.«
Aus der Schublade des Tischchens am Fenster zog sie den kleinen Handspiegel hervor und reichte ihn dem Mönch.
»Ich fand ihn unter Jeans Bett, am Tag, als er starb. Er gehört der Frau des Weinhändlers. Als ich sie das erste Mal traf, war er noch blank, als sie hineinschaute. Erst als ich ihn an die Lippen des Jungen hielt, um zu sehen, ob er noch atmet, ist er schwarz geworden.«
Sie faltete die Hände ineinander und sah mit angstvollen Blicken zu dem Pater auf.
»Ich wollte ihn nicht mitnehmen, aber ich war so entsetzt, dass ich ihn vor den anderen in meiner Tasche versteckte. Er fiel mir erst wieder in die Hände, als ich hier war. Pater, ich glaube, es ist ein böses Omen. Clara sagt, ein schwarzer Spiegel fängt die Seele eines Menschen ein.«
»So sagt man. Doch glaubt Ihr wirklich, dass ein solcher Spiegel die Seele festhält? Begine, Ihr seid doch sonst eine nüchtern denkende Frau. Wovor habt Ihr Angst?«
»Ich weiß nicht. Er… es ist mir unheimlich. Warum ist der Spiegel schwarz geworden, als Jean starb?«
»Genau in dem Moment, Begine? Vorher war er noch silbern?«
»Ja… Oder – ich weiß es nicht!« Erstaunt sah Almut den Fragesteller an. »Als ich ihn fand, lag er mit der Rückseite nach oben. Ich habe ihn aufgehoben und neben den Wasserkrug gelegt.« Sie versuchte, sich genauer zu erinnern, und die Bilder jenes Nachmittags zogen an ihrem inneren Auge vorbei. »Nein, ich weiß es nicht, Pater Ivo. Ich habe ihn nicht umgedreht. Erst als ich nach einem Atemhauch gesucht habe. Das heißt doch, er könnte schon angelaufen gewesen sein, als ich ihn aufhob!«
»Sogar schon früher.«
»Ja, aber…«
»Genau, Begine. Wieder ein neues Rätsel. Was hat Frau Dietkes Spiegel unter Jeans Bett zu suchen, und warum und wann ist er schwarz geworden? Habt Ihr jemals in Eurem Leben Silberschmuck getragen?«
»Ja, früher einmal. Auch er ist mit der Zeit angelaufen und musste regelmäßig geputzt werden. Aber so richtig schwarz war er nie.«
»Immerhin seht Ihr ein, dass es eine normale Reaktion des Metalls ist, schwarz zu werden, und nicht etwa eine unheimliche Macht, die so etwas verursacht.«
»Ja, das stimmt wohl. Aber warum ist dieser so schnell so dunkel geworden?«
»Das sollten wir herausfinden, weil es uns vielleicht eine Antwort auf Jeans Unternehmungen vor seinem Tod gibt. Darf ich den Spiegel für eine Weile mitnehmen?«
»Ich muss ihn Frau Dietke zurückgeben.«
»Natürlich. Wenn unsere Fragen beantwortet sind. Und nun macht Euch deswegen keine so großen Sorgen mehr, Begine. Hier ist nichts Unheimliches im Spiel, sondern nur rätselhaftes menschliches Verhalten.«
»Ich bin froh, dass Ihr mir das so erklärt habt, Pater Ivo. Das ist jetzt alles, was ich Euch noch sagen kann. Habt Ihr noch weitere Fragen?«
»Nur eine noch, Begine. Sagt, woher habt Ihr diese Statue?«
Pater Ivo wies auf die sitzende Maria mit ihrem Kind auf dem Tischchen, zu deren Füßen die Kamillenblüten allmählich welkten.
»Das ist meine Maria, vor der ich bete, Pater.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Aber woher habt Ihr sie?«
Ein wenig trotzig antwortete Almut: »Ich habe sie gefunden!«
»Ich will sie Euch nicht streitig machen, doch seid so gut und beschreibt mir, wo und wie Ihr sie gefunden habt.«
»Was ist mit ihr nicht in Ordnung?«
»Das verrate ich Euch, wenn Ihr mir sagt, wie Ihr an sie gekommen seid.«
Almut trat wie schützend vor die Statue und machte ein abweisendes Gesicht. Sie war sich, seit sie die Figur das erste Mal in den Händen gehalten hatte, nie sicher gewesen, ob es richtig war, sie einfach zu behalten. Aber andererseits brachte sie es auch nicht über sich, sie wegzustellen. Zu oft hatte die zärtlich lächelnde Gestalt ihr Trost, Hoffnung und Frieden geschenkt.
»Na,
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