Der dunkle Spiegel
Fasten in der Form, dass Euch das Essen süßer Wecken in der Kirche untersagt ist.«
Pater Ivo sprach die rituellen Worte der Lossprechung, segnete die kniende Begine und verschwand dann lautlos aus dem Raum. Für eine Weile saß Almut versonnen vor dem Tischchen und starrte die Mariengestalt an. Ihre Gebete sprach sie jedoch nicht, dafür war ihr Geist zu aufgewühlt.
Als sie sich später bei der Meisterin einfand, hatte sie ihre Gemütsruhe jedoch wiedergewonnen. Magda nickte ihr ernst zu und bat sie, auf der Bank neben dem Kamin Platz zu nehmen.
»Almut, wir müssen uns unterhalten. Ich mache mir, wie du sicher verstehen wirst, Sorgen um uns. Der Besuch des Dominikaners war alles andere als erfreulich. Und dann verschwindest du heute Morgen auch noch alleine und ohne Angabe von Gründen. Um zu beichten, Almut.«
Almut, die sich ihres Verstoßes durchaus bewusst war, senkte schuldbewusst den Kopf.
»Ich bin eure Meisterin, ihr habt mich vor drei Jahren einstimmig dazu gewählt. Ihr habt mir damit das Recht und die Pflicht gegeben, mich um euch zu kümmern, darauf zu achten, dass die Mitglieder unserer Gemeinschaft einen untadeligen Lebenswandel führen und nicht zu Gerede Anlass geben. Ich habe allerdings nicht die Befugnisse eines Inquisitors und auch nicht die Stellung eines Beichtvaters. Darum kann ich nur sehr ernst an dein Gewissen appellieren, Almut. Sag mir die Wahrheit! Was weißt du über den Tod des jungen Mannes? Gab es etwas, das dein Gewissen so sehr belastet hat, dass du Hals über Kopf zu einem Priester laufen musstest?«
»Nein, Magda. Das hatte andere Gründe. Glaub mir. Ich will versuchen, sie in kurzer Form zu berichten.«
Almut erzählte der schweigend lauschenden Meisterin, was sie über die Umstände herausgefunden hatte, die mit Jeans Ableben verbunden waren.
»So ist er also wirklich ermordet worden, doch wie, das ist noch nicht geklärt. Und über das Warum gibt es nur Mutmaßungen. Wäre da der Bruder Johannes Deubelbeiß nicht, so würde ich dir raten, dich nicht weiter um die Angelegenheit zu kümmern. Es mögen sich die Betroffenen um Aufklärung bemühen. Aber so…« Magda sah nachdenklich zum Fenster hinaus. »Das hohe Gericht hat seine Arbeit weitgehend niedergelegt. Seit die Schöffen beim Erzbischof in Bonn Zuflucht gesucht haben, ruhen die meisten Verfahren, bis in diesen Streitereien eine Klärung erfolgt ist. Den Prozess kann der Inquisitor dir zwar nicht machen, aber er kann dich als Verdächtige auf unbestimmte Zeit in den Kerker schicken. Keine angenehme Aussicht, stimmst du mir zu?«
»Nein, keine angenehme Aussicht.«
»Es gibt natürlich andere Möglichkeiten. Wenn ich meinen Bruder darüber informiere, dass Bruder Johannes uns bedroht, so wird er sicher Maßnahmen zu unserem Schutz ergreifen. Noch haben die Geschlechter die Macht in der Stadt. Wie weit er aber auf kirchliche Belange Einfluss nehmen kann, weiß ich nicht.«
Magda von Stave, die Patriziertochter, wusste, dass sie sich in einem Notfall auf ihre Familie verlassen konnte, auch wenn sie das zurückgezogene Leben einer Begine gewählt hatte.
»Und da ist noch der Vorwurf der Ketzerei. Daraus kann dir Bruder Johannes wirklich einen Strick drehen. Wie man es auch betrachtet, die Lage sieht schlimm aus. Außerdem ist da noch der Benediktiner. Aus deinem Bericht kann ich entnehmen, dass er dir nicht übel gesonnen ist. Hast du dein Urteil über ihn geändert?«
»Ja, das habe ich. Zumindest, was sein Verhalten mir gegenüber betrifft. Er scheint meine Bemerkungen in der Kirche nicht gar so streng zu beurteilen. Um ehrlich zu sein, ich hatte einmal sogar das Gefühl, dass sie ihn erheiterten. Aber er ist überaus scharfsinnig.«
»Das hörte ich auch. Ich habe versucht, einige Erkundigungen über ihn einzuholen, aber viel war nicht in Erfahrung zu bringen. Lediglich, dass er erst vor etwa zwölf oder dreizehn Jahren ins Kloster eingetreten ist. Zuvor hat er an verschiedenen Universitäten gelehrt. Mehr weiß ich nicht über ihn.«
»Warum ist er dann Mönch geworden? Ein Gelehrter – und jetzt bindet er im Weingarten die Reben auf und rupft mit lehmigen Fingern Unkraut.«
»Der Ruf Gottes?«
»Die Wege des Herren sind wunderbar. Ja, ich weiß. Er ist klug und belesen, er kennt die Welt und die Menschen. Magda, ich wollte nicht beichten. Er hat mich förmlich dazu gezwungen, ihm die Sünde der Ketzerei zu gestehen. Er hat mir eine Buße auferlegt, die – nun ja, ich werde sie verkraften.«
Almut
Weitere Kostenlose Bücher