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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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frommen Brüdern und Schwestern vorgenommen, die die Erzeugnisse ihres Kellers nicht nur für den eigenen Bedarf verwenden, sondern auch durstigen Zechern verkaufen. Gewöhnlich ist ihr Wein eine gerade mal trinkbare Flüssigkeit, die einen milden Rausch verursacht, doch, wie gesagt, seit kurzem gibt es schwerere Weine bei ihnen.«
    »Ihr besucht diese Stätte häufiger?«
    »Gelegentlich. Es geht rau dort zu, aber manchmal auch sehr fröhlich.«
    »Habt Ihr jemals einen jungen Burgunder dort angetroffen. Gerade achtzehn oder neunzehn Jahre alt, dunkle Locken, dunkle Augen? Er wird Jean de Champol gerufen.«
    »Spricht unsere Sprache nicht richtig, mit einem fremden Akzent und vielen ausländischen Wörtern dazwischen? Ja, so einen Jungen habe ich dort gesehen. Nicht in bester Gesellschaft allerdings. Was mich schon damals wunderte, denn er machte mir einen sehr unbedarften Eindruck, ganz anders als Tilmann und seine Genossen. Sie trieben ihre Scherze mit ihm. Weiter habe ich ihn nicht beachtet. Wie gehört er in Eure Geschichte, Schwester?«
    »Er ist der Tote.«
    »Armer Junge. Woran starb er denn?«
    »Wie es zuerst aussah, an Husten. Oder vielleicht einer Krankheit der Lunge. Aber ich denke, es muss noch etwas mehr im Spiel gewesen sein. Dummerweise glauben andere das auch und geben der Arznei aus unserer Apotheke die Schuld. Giftmischerin haben sie mich genannt.«
    »Aber Ihr vermutet, dass er vergiftet worden ist? Hat jemand Eure Arznei vertauscht? Etwas anderes hineingemischt?«
    »Es könnte möglicherweise so gewesen sein, denn das Fläschchen ist anschließend verschwunden. Ich wünschte, ich könnte mehr über diese Leute herausfinden, die Jean zu seinen Untaten angestiftet haben.«
    »Dann kommt doch heute Abend mit!«
    »Wohin?«
    »Zu unserem Bruder Cellerar oben am Gereons-Tor. Vielleicht hört und seht Ihr ja unter seinen fröhlichen Gästen etwas, das Euch weiterhilft.«
    »Großer Gott, Aziza, ich kann mich doch nicht an einem solchen Ort sehen lassen. Wie stellt Ihr Euch das vor?«
    Aziza klatschte in die Hände und lachte.
    »Jetzt habe ich Euch endlich doch einmal schockiert!«
    »Glaubt Ihr?«
    »Habe ich das nicht?«
    »Aziza, ich lebe in einer Gemeinschaft, die sich freiwillig einige Regeln gegeben hat, die nicht allzu schwer einzuhalten sind. Bescheidenheit und gemeinschaftliche Arbeit sind kleine Opfer, wenn man dafür ein zufriedenes Leben führen kann. Ich habe auch ein anderes kennen gelernt. Ich möchte dieses hier nicht aufs Spiel setzen.«
    »Ein anderes Leben? Das einer wohlerzogenen, behüteten Tochter, nehme ich an.«
    »Das eines recht wilden Kindes auf den Baustellen meines Vaters, das einer Ehefrau und schließlich das einer unerwünschten Witwe. Aber reden wir nicht darüber.«
    »Und Ihr glaubt wirklich, nur unter diesen staubigen Jungfern findet Ihr ein zufrieden stellendes Leben? Na, jeder nach seinem Geschmack.«
    »Eben. Aziza, ich danke Euch, dass Ihr mir geholfen habt. Ich muss nachdenken, wie ich weiterkomme. Wenn Ihr irgendetwas hört, benachrichtigt mich bitte. Würdet Ihr das tun?«
    »Ja, das werde ich.« Azizas Stimme war plötzlich sanft geworden. »Ihr seid zumindest keine allzu staubige Jungfer!«
    Almut war von der Mauer hinuntergeglitten, und Trine erhob sich ebenfalls.
    »Mein Angebot war übrigens ernst gemeint. Wenn Ihr die Schenke aufsuchen wollt, dann begleite ich Euch. Ihr müsst ja nicht in der grauen Tracht dort erscheinen. Ich habe noch ein, zwei andere Gewänder, mit denen ich Euch verkleiden könnte.«
    »Vielleicht wird es notwendig sein. Danke auf jeden Fall.«
    Trine hatte Aziza die ganze Zeit angesehen, und jetzt hob sie die Hand und fuhr ihr ganz vorsichtig und sacht über den dünnen Schleier, der ihre Haare bedeckte.
    »Oh, Trine! Entschuldigt! Sie ist von allem Schönen immer so hingerissen, dass sie es berühren muss.«
    Aziza schenkte dem taubstummen Mädchen ein strahlendes Lächeln, und Trine reichte ihr den kunstvoll geflochtenen Kranz aus blauen Glockenblumen und Ehrenpreis, weißen Margeriten und Wiesenschaumkraut mit einer Geste, die andeutete, dass sie ihn sich auf den Kopf setzen solle. Mit einer anmutigen Verbeugung nahm Aziza das Geschenk entgegen, löste den blauen Schleier und befreite ihre schimmernd schwarzen Haare aus dem Netz. Wie ein Schwall Seide ergossen sie sich über ihren Rücken, als sie sich schüttelte. Dann setzte sie behutsam den Kranz auf und drückte ihn in die Stirn. Die Wirkung war umwerfend, und Trine sperrte

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