Der dunkle Spiegel
aufmunternden Lächeln zu.
»Ich werde tun, wie Ihr sagt«, flüsterte der junge Mann heiser. »Ich vertraue auf die Wirksamkeit Eures Elixiers, denn morgen will ich wieder meine Aufgaben übernehmen. Dank Euch, ma soeur. Schwester«, verbesserte er sich.
»Ich bin keine Nonne, Jean de Champol, ich bin eine Begine.«
De Lipa schüttelte ungeduldig den Kopf und meinte: »Das zu erklären, führt jetzt zu weit. Ich werde Jean diese Medizin geben. Wir werden sehen, wie gut sie hilft. Mir scheint, es ist besser, wir lassen den Jungen jetzt allein. Dietke, führe unseren Besuch nach unten.«
Als Almut sich zur Hausherrin umsah, steckte diese gerade einen kleinen Silberspiegel, in dem sie ihr Gesicht studiert hatte, in die Tasche ihres Gewandes. Sie schenkte ihrem Mann einen schwer zu deutenden Blick und wies Almut mit einer unmissverständlichen Handbewegung aus dem Zimmer. Sie selbst folgte ihr nach kurzem Zögern.
»Ihr verwendet ein köstliches Parfüm, Frau Begine«, bemerkte sie, als sie unten angekommen waren.
»Ich? O nein, ich verwende keine Duftwasser.«
»Aber dieser Geruch, der Euch umgibt…?«
Almut schnupperte an dem Ärmel, und ein Lächeln flog über ihr Gesicht.
»Ah, ich habe heute Nacht die Herstellung einer Tinktur aus Kräutern überwacht. Sie hilft, äußerlich angewendet, gegen Schwindel und Kopfschmerz, aber auch bei Ohnmachten, bei Gicht und Rheuma.«
»Mag schon sein, aber ihr Duft ist überaus angenehm. Bringt mir doch bei Gelegenheit ein Töpfchen davon vorbei.«
»Ich will unsere Apothekerin fragen, Frau Dietke. Wenn es unschädlich ist, wird sie Euch gerne etwas davon überlassen. Aber nun muss ich mich eilen. Lebt wohl und sendet dem Kranken meine Grüße. Ich werde für seine baldige Genesung beten.«
Trine wartete noch immer an der Tür, bei ihr war eine seltsame Gestalt. Ein Mann, groß, doch mit gebeugten Schultern und wirrem, grauem Haar. Er gab einen unartikulierten Laut von sich, als er Dietke sah, und hinkte eilig davon. Almut aber erhaschte dennoch einen Blick auf sein Gesicht. Es machte sie schaudern, denn tiefe Narben entstellten seine Züge.
»Noch einen schönen Tag wünsche ich Euch«, sagte die Hausherrin und öffnete die Haustür. Es war ihr anzumerken, dass sie ihre Besucher nur zu gerne los sein wollte.
Vor der Tür blinzelte Almut in das helle Sonnenlicht und atmete tief ein. Die Atmosphäre im Haus der de Lipas war ihr beklemmend erschienen. Das lag auch an dem unangenehmen Geruch, der sich in den unteren Räumen breit gemacht hatte.
»Wird wohl Zeit, dass die Goldgräber mal wieder die Kloake reinigen!«, sagte sie zu Trine und begleitete ihre Bemerkung mit einer passenden Handbewegung zur Nase. Trine, die einen sehr feinen Geruchssinn hatte, nickte und schüttelte sich angeekelt. Ungewöhnlich war der Gestank allerdings nicht, vor allem nicht an warmen Tagen. Es gab kein Abwassersystem in Köln. Die Häuser hatten lediglich Sickergruben in den Hinterhöfen, manchmal sogar im Keller, in denen nicht nur Fäkalien gesammelt wurden, sondern auch die Kadaver streunender Hunde, unvorsichtiger Schweine oder Ratten verwesten. Die Kloakenreiniger wurden scherzhaft »Goldgräber« genannt und hatten die Aufgabe, in regelmäßigen Abständen die Gruben zu entleeren. Den Inhalt fuhren sie hinaus auf die Äcker – oder kippten ihn in den Rhein.
»Kein Wunder, dass Frau Dietke hinter einem Duftwasser her ist«, murmelte Almut mehr für sich, was Trine allerdings nicht verstand. Aber sie hatte eine andere Mitteilung zu machen. Energisch zog sie Almut am Ärmel.
»Was ist, Trine?«
Mit einem raschen Kopfheben zur Tür rieb sie den Daumen gegen die Finger der rechten Hand – das unmissverständliche Zeichen des Geldzählens.
»Also, wenn du jetzt meinst, ich klopfe da noch mal an, um mir die paar Münzen geben zu lassen, dann hast du dich aber geirrt, Kleine. Sehen wir zu, dass wir nach Hause kommen. Hoffentlich hat Gertrud noch etwas Brot und Suppe für uns aufgehoben!«
Almut rieb sich vielsagend den Magen, und Trine grinste. Dann machte sie sich daran, neben Almut herzutrotten.
»Gehen wir am Rhein entlang, Trine. Da ist es kühler.«
Almut zeigte zum Filzgrabentor, wo eine Gruppe Kinder unterhalb der Stadtmauer herumtollte. Trine schüttelte den Kopf und gab mit einer Grimasse zu verstehen, dass ihr der Umweg zu weit sei.
»Na gut, dann nicht. Aber der Weg ist so viel weiter auch nicht. Ich vermute, du willst einfach etwas Aufregenderes zu sehen bekommen.
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