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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Wurzel allen Übels. Er war schon als Kind ins Kloster gekommen und hatte den Kontakt zu diesen verwerflichen Kreaturen der Schöpfung bisher erfolgreich gemieden. So bezog er denn seine Kenntnis ihrer Natur aus den einschlägigen Bibelstellen und einigen passenden Auszügen aus den Schriften des großen Thomas von Aquin und ähnlicher, den Frauen wenig aufgeschlossen gesonnener Autoren. Er hielt die weibliche Hälfte der Menschheit daher geistig für so minderwertig, dass sie ihre offenkundigen Mängel selbst nicht erkennen konnten und man ihnen ihre Schlechtigkeit und Falschheit beständig mit bunten, drastischen Bildern klarmachen musste.
    »Ein störrisches Pferd reite man nicht bei Festen, sondern halte man im Stall und brauche es als Lasttier«, tönte er gerade inbrünstig, und Almut schnaubte.
    »Mach nicht solche Geräusche!«, kicherte Clara. »Sonst glaubt er noch, hier stünde eins!«
    »Keiner braucht zu hoffen, die Natur des Schweines oder der Katzen zu ändern, und aus Wolle kann man nicht Seide spinnen! Auch ein Weib mit milden oder harten Worten zu ziehen ist vergebliche Mühe.«
    »Warum hält er dann nicht die Luft an?«, knurrte Almut, die langsam an die Grenzen ihrer Geduld geriet.
    Notker der Dicke sandte einen brennenden Blick in Richtung des Getuschels, erkannte die frommen Beginen und wetterte los: »Das Weib tritt mal schlicht und fromm wie eine Nonne auf, aber wo es ihm passt, lässt es seiner Neigung plötzlich freien Lauf. Das geile Auge des Weibes macht den Mann zu Schanden und dörrt ihn wie Heu!«
    Hinter Almut und Clara begann jemand hilflos zu kichern.
    »Das Weib ist ein Spiegel des Teufels, wehe auch dem frömmsten Manne, der zu oft hineinblickt. Ein Tor, wer einer Schlange traut, hat doch die Schlange Eva betrogen und ist dafür verdammt, über Steine und Dornen zu kriechen. Kein Mann sollte dem Weibe trauen, seitdem es den Adam betrogen hat. Deswegen lässt man es ja auch Haupt und Stirn bedecken, damit es sich schäme. Scham und Demut stehen dem Weibe an, denn so steht es geschrieben: ›Und Gott der Herr schuf eine Frau aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm‹– ein krummes Geschöpf, entstanden aus schadhaften Samen und feuchten Winden, wie schon unser großer Lehrer Thomas von Aquin wusste!«
    »Eure Bibel habt ihr aber nicht besonders gut gelesen, Bruder Notker! Es gibt da eine Stelle, in der es heißt: ›Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als
Mann und Weib
!‹«
    Gertrud, die auf der anderen Seite neben Almut stand, zog sie vergeblich am Ärmel.
    »Und vielleicht hilft es Euch auch, wenn Ihr bei Paulus nachlest, der da sagt: ›Doch in dem Herren ist weder die Frau etwas ohne den Mann, noch der Mann etwas ohne die Frau; denn wie die Frau von dem Mann, so kommt auch der Mann durch die Frau, aber alles von Gott.‹ Lest nach, Bruder Notker, wenn Ihr des Lesens mächtig seid!«
    Bleischwere Stille lag über dem Kirchenraum. Der dicke Mönch hatte einen puterroten Kopf bekommen und schnappte ein paarmal nach Luft. Dann kam ihm offensichtlich so etwas wie eine Erleuchtung, und er plusterte sich zu seiner ganzen Größe auf, um mit herrischer Stimme zu verkünden: »›In der Gemeinde der Heiligen sollen die Frauen schweigen. Es ist ihnen nicht gestattet, zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen!‹ Das ist es, was uns der Apostel Paulus sagt.«
    »Tja, Grube gegraben und selbst reingefallen«, flüsterte Clara Almut zu, die jetzt bescheiden das Gesicht hinter dem Schleier verbarg. Weniger aus Demut, sondern weil es ebenfalls sehr rot geworden war.
    Die Messe nahm ihren gewohnten Gang.
    Bis zu einem weiteren Zwischenfall. Der ereignete sich, als Notker das Abendmahl zelebrierte. Diese heilige Handlung stellte einen der Höhepunkte für den Priester dar, nicht wegen der tiefen Symbolik oder des wundervollen Mysteriums der Wandlung, sondern weil er sich nach dem wirklich ausgezeichneten Messwein sehnte, den sein Kloster so freundlich war, aus Burgund importieren zu lassen. Er hatte darauf geachtet, dass der Kelch großzügig gefüllt wurde. Nun brach er die Hostie darüber, sprach die Worte, die zu sprechen waren, und hob das kostbare Gefäß, um einen tiefen Zug des dunklen, schweren Rotweins zu nehmen.
    Saurer Geschmack, bitter und scharf, füllte seinen Mund, und in einer Fontäne versprühte er die rote Flüssigkeit über das weiße goldbestickte Altartuch. Hustend und mit Tränen in den Augen kniete er nieder und

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