Der dunkle Thron
improvisierte, denn keine dieser Möglichkeiten zog er ernsthaft in Betracht. Aber was er stattdessen vorhatte, war so brisant, dass er es vor Kestrel nicht sagen konnte. »Wenn ich Waringham den Rücken kehre, ohne Vorkehrungen zu treffen, wird meine Stiefmutter ihren Bruder Edmund Howard zum Steward machen, und er wird es in schwindelerregender Zeit abwirtschaften. Das will ich vermeiden. Darum bitte ich Euch, Master Durham: Pfändet meine Besitzungen. Der Darlehensvertrag, den mein Vater unterschrieben und besiegelt hat, ermächtigt Euch dazu, wenn die Zinsen nicht pünktlich gezahlt werden. Wie Ihr zweifellos wisst, bin ich mit den Zinsen im Rückstand. Also tut es. Vereinnahmt die Pachten und die Einkünfte aus der Wolle und dem Gestüt, bis die Zinsen und die Darlehen abgegolten sind, und dann gebt mir Waringham zurück. Falls ich immer noch im Exil oder tot sein sollte, gebt es meinem Bruder, aber nicht vor seinem einundzwanzigsten Lebensjahr, sonst fällt es den Howard doch noch in die Hände. Rettet Waringham für meinen Bruder. Das ist meine erste Bitte.«
Durham hatte aufmerksam gelauscht. Er dachte einen Moment nach und bemerkte dann: »Ein ziemlich ungewöhnliches Ansinnen. Normalerweise pflege ich nicht zurückzugeben, was ich einmal gepfändet habe. Wir müssten einen Vertrag ausarbeiten lassen. Das dauert Wochen.«
Nick schüttelte den Kopf. »Darauf kann ich nicht warten. Euer Handschlag genügt mir.«
Nathaniel Durham stand auf und streckte eine dunkel behaarte Hand mit peinlich sauberen Fingernägeln aus. Nick erhob sich ebenfalls und schlug ein.
»Zweitens?«, fragte Durham, nachdem sie wieder Platz genommen hatten.
»Geht zu meiner Schwester und Eurem Neffen. Ich weiß, dass ihr Philipp gram seid«, fuhr er hastig fort, als er die sturmumwölkte Miene des strengen Kaufherrn sah. »Aber sie müssen erfahren, dass es mir gut geht. Wenn Laura glaubt, ich sei im Tower eingesperrt, wird sie früher oder später Dummheiten machen. Dem König bei der Jagd auflauern, um ihn übel zu beschimpfen, etwa. Ich bitte Euch inständig, Sir. Ich teile Eure Ablehnung ihrer Gesinnung, aber sie sind gute Menschen, glaubt mir. Anständig. Sie haben es nicht verdient, sich solchen Kummer zu machen. Meine Schwester hat genug gelitten, als mein Vater im Tower war.« Und jetzt würde es für Laura sein, als wiederhole sich dieser Albtraum. Jede Stunde, die sie unnötig um ihren Bruder bangte, lag ihm wie ein Bleigewicht auf der Seele.
Dieses Mal zögerte Nathaniel Durham wesentlich länger. Aber schließlich nickte er knapp. »Meinetwegen. Wollt Ihr ihr ein paar Zeilen schreiben?«
Aber Nick schüttelte müde den Kopf. Es war zu gefährlich. Er hob die Linke, starrte einen Moment auf den Siegelring am Zeigefinger, zog ihn dann ab und streckte ihn Durham entgegen. »Gebt ihn meiner Schwester, seid so gut. Sagt ihr, ich sei in Sicherheit. Sie soll den Ring für mich verwahren oder ihn Ray eines Tages geben.« Und natürlich würde Laura dafür sorgen, dass auch Raymond von Nicks geglückter Flucht erfuhr.
Der König der Diebe schnappte sich den Ring, ehe Durham ihn nehmen konnte, und hielt ihn bewundernd vor die Kerze. »Schönes Stück«, lobte er, reichte ihn mit einem verstohlenen Seufzer an den Kaufmann weiter und sagte zu Nick: »Sicher nicht leicht, sich davon zu trennen.«
Du hast ja keine Ahnung, dachte Nick. Er fühlte sich nackt ohne dieses Symbol seiner Identität, wie abgeschnitten von sich selbst. Aber er biss die Zähne zusammen und antwortete mit scheinbarem Gleichmut: »Da, wo ich hingehe, werde ich ihn nicht brauchen.«
Master Durham steckte den Ring in seinen bestickten Beutel. »Und drittens?«
»Ein Treffen mit Eustache Chapuys.«
»Ihr meint den Gesandten des Kaisers?«, fragte Kestrel verwundert und pfiff dann vor sich hin. »Und ich dachte, Ihr wolltet Euch aus der Politik zurückziehen …«
»Ich muss ihn sprechen, bevor ich mich in Luft auflöse.«
Nathaniel Durham schüttelte den Kopf. »Ich bedaure, Mylord. Ich pflege keinerlei Kontakt zu Chapuys und wüsste nicht, wie ich ein heimliches Treffen für Euch arrangieren sollte.«
»Hm.« Der König der Diebe brummte in seinen Becher. »Aber ich kenne ihn.«
»Ihr?«, fragten Durham und Nick im Chor.
»Was glaubt Ihr wohl, woher er weiß, was in dieser Stadt geschieht? Sein Spionagenetz beschränkt sich nicht auf Bischofspaläste und Fürstenhöfe. Dieser Mann ist nicht glücklich, wenn er nicht alles weiß, was vorgeht. Darum habe
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