Der dunkle Thron
führte ihn in die Nacht hinaus und zum Ufer.
Es wurde eine lange und beschwerliche Fahrt.
Auch wenn Anthonys Freund, der Wherryman, schon morgens den kostbaren Waringham-Mantel zum Tower gebracht hatte und seit Mittag das Gerücht in der Stadt kursierte, der Earl sei bei einem Fluchtversuch nach seiner Festnahme ertrunken, glaubten Nick und Anthony doch nicht, dass Cromwell deswegen schon aufgehört hatte, nach seiner Beute suchen zu lassen. Der Sekretär des Königs war nicht durch Nachlässigkeit dorthin gelangt, wo er heute war, sondern weil er nie etwas dem Zufall überließ. Darum waren sie übereingekommen, dass Nick nur im Schutz der Dunkelheit und auf Umwegen durch die Stadt gebracht werden durfte. Also überquerte das Boot die Themse, am Nordufer wurde der Passagier von zwei Unbekannten in Empfang genommen, auf die Ladefläche eines Fuhrwerks verfrachtet und mit leeren Säcken zugedeckt, ehe er kreuz und quer durch London gefahren wurde, um dann schließlich doch wieder in Flussnähe auszukommen. Offenbar in Billingsgate, wie der durchdringende Fischgeruch ihm verriet, der ihm in die Nase stieg, als endlich die Säcke verschwanden, unten denen er beinah erstickt wäre.
»Wo bin ich?«, murmelte er, ehe ihm einfiel, dass er doch den Mund hatte halten wollen.
»Denkst du, wir hätten dir die Augen verbunden, wenn du das erfahren solltest, Strohkopf?«, brummte eine tiefe Stimme.
Nick wollte entrüstet auffahren, aber er nahm sich gerade noch rechtzeitig zusammen. Ich sollte mich lieber schnell daran gewöhnen, dass in Zukunft niemand mehr »Mylord« zu mir sagen wird, dachte er. Zahm ließ er sich vom Wagen helfen, durch eine Tür und eine Treppe hinauf führen, wo die Reise schließlich in einem geheizten Gemach endete.
»Nehmt ihm die Augenbinde ab und verschwindet«, sagte eine Stimme, in der eine unverkennbare Autorität schwang, die aber einen ebenso unverkennbaren Akzent aufwies, der eine Herkunft aus den finstersten Londoner Gassen verriet. Todsicher nicht Nathaniel Durham, schloss Nick.
Seine Kapuze wurde zurückgeschlagen, die Binde unsanft heruntergerissen, und er fand sich in einer kleinen, aber behaglich eingerichteten Halle. Zu seiner Rechten prasselte ein Feuer in einem Kamin mit einem etwas zu protzigen Marmorsims. Ihm gegenüber saß in einem Sessel ein dicklicher Mann mit spärlichem blonden Haar und Lachfalten um die Augen, der wie ein gutmütiger Mönch aussah. Er hielt einen vergoldeten Pokal in beiden Händen und trank geräuschvoll und mit offensichtlichem Genuss. Der zweite Mann stand reglos wie eine steinerne Säule einen Schritt zur Linken: Ein edel gekleideter Gentleman mit schwarzem, graumelierten Haupt- und Barthaar und dunklen Augen, die im Feuerschein zu funkeln schienen. Er strahlte auf unbestimmte Weise etwas Bedrohliches aus, und wäre nicht die Amtskette des Meisters der Tuchhändlergilde gewesen, hätte man meinen können, er sei der berüchtigte König der Diebe.
Nick neigte ein klein wenig den Kopf. »Master Durham. Habt Dank, dass Ihr gekommen seid.«
Durham musterte ihn, ohne die angedeutete Verbeugung zu erwidern. »Ich bin aus Respekt für Euren Vater gekommen, aber ich schätze es nicht, in so konspirativer Weise einbestellt zu werden.«
Nein, dachte Nick, das kann ich mir vorstellen. Sein Mut drohte ihn zu verlassen. Wie hatte er nur glauben können, diesem harten, unbarmherzigen Mann einen Gefallen abringen zu können?
»Ich hoffe, Ihr habt mich nicht herzitiert, um an meine Treue zu Königin und Papst zu appellieren und mich zu bitten, Euch die Zinsen zu stunden. In dem Falle stünde Euch eine Enttäuschung bevor.«
»Im Gegenteil, Sir«, entgegnete Nick kühl. »Ich wollte Euch vorschlagen, Waringham zur Sicherung Eurer Ansprüche zu pfänden.«
Nathaniel Durham zuckte mit keiner Wimper, sondern fuhr fort, ihn unverwandt anzusehen. Seine Miene drückte nichts als verhaltenes Desinteresse aus.
Der Mann im Sessel gluckste vor sich hin. »Oh, Ihr seid ein eiskalter Hurensohn, Nathaniel, aber Ihr müsst zugeben, das hat Euch überrascht.«
Durham ging nicht darauf ein. Zum ersten Mal rührte er sich, verschränkte die Arme vor der Brust und neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Sagt mir, was Ihr vorhabt, Mylord«, schlug er vor, eine Spur höflicher als zuvor.
»Unter vier Augen«, erwiderte Nick.
»Das kannst du dir aus dem Kopf schlagen, Bübchen«, warf der Kerl im Sessel ein. »Ich höre, was er hört. Du bist hier in meinem Haus und nur dank der
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